Wird das schon wieder?

«Diese Entwicklung ist insofern besorgniserregend, als die Entstehung des Sozialstaats in allen heute hochentwickelten Ländern ein konstitutives Moment des Modernisierungs- und Entwicklungsprozesses war.» Und dass man dann wegen der Steuerlast keine Bildung finanzieren kann, das ist doch super, dachte er. Das ist unser Punkt. Ende des Sozialstaats! Das ist es doch. Dachte er. Der denkt auf S. 658 genau das, was wir nutzen können, um alles mal so richtig aufzumischen. «Giuseppe, das ist doch lächerlich, das reguliert sich doch alles von selbst», kommentierte Bröno Selfmachteger-Spretz. Er hatte «Das Kapital» von Piketty in der zweiten Auflage und natürlich der deutschen Übersetzung aus dem Münchner Verlag vor sich und versuchte, nicht nur aus dem Vorwort schlau zu werden. «Ungleichheit ist nicht das Thema, auf das wir uns kaprizieren sollten.» Recht hast du, du alter Nazi-Perverso, dachte Guiseppe. Gleich habe ich ihn. Gleich ist er da, wo er hin muss. «Also, wir bauen jedenfalls niemals wieder eine blöde Arbeiterpartei. Vergessen wir den ganzen Schmuh, dann muss ich diese über 800 Seiten Schlaumeierei erst gar nicht lesen.» Usurpieren sollte Spaß machen, das war seine Devise. «Coppelius, jage er den Schmeiß an PR und PÖ fort. Jetzt unterhalten sich Erwachsene.» Mache ich nur zu gern. «Meister, bitte höre er: Wir müssen an den Androiden weiter arbeiten. Wenn ich darf, erläutere ich dir meine Strategie.» «Nur zu», ermunterte Bröno seinen Ingenieursspezi. Und dann holte der aus. Es wären absolut herausragende Zeiten. Sibylle habe zwar ihre perversen Texte weit unters Volk streuen können. Aber die Leute seien doch genauso, wie sie die beschriebe. «Halt ihnen den Spiegel vor, und sie verlieben sich in sich selbst. Immer, auch wenn sie nur einen Haufen Scheiße sehen.» Giuseppe schätzte alle und jeden gering, aber das kann man ja schon. Der schreckte vor nichts zurück. Und weiter. Dennoch seien alle, die es sich leisten könnten, verrückt nach Drohnen, Endgeräten und überhaupt nach allem, was Automatisierung und Förderung der Bequemlichkeit anlangte. Um Kampmann müssen wir uns keine Sorgen machen. Der ist beim Lieben Gott gut aufgehoben, harharhar. Und Büttner? Pah, der mäandert durch die USA und bekommt kein Fuß an die Erde, da er nur den Reifen unter sich hat und seine Jungs, und alle zusammen scheren sich mehr um Fotografie als um den Fortbestand der Demokratie. So röchelte das finstere Wesen namens Giuseppe Coppelius vor sich hin.

«Wir haben natürlich ein paar technische Hürden zu überspringen. Derzeit können wir noch längst nicht von einer wie auch immer gearteten Bewusstheit in unseren Maschinen sprechen, aber wir arbeiten dran.» «Wäre ja nicht das Schlechteste», retournierte Bröno. «Wir müssen es schaffen, bevor sich die Einheit von Raum und Zeit auf der Erde wieder dem Normalmaß annähert. Jetzt ist noch ein sehr schönes Chaos da draußen, und wir können unseren Plan, die Titanen loszulassen, relativ schmerzlos in die Tat umsetzen. Aber sollten Kampmann und Büttner Bremen erreichen, finden sie den Schalter im Bahnhof, an dem sie die Einheit bestellen und damit wiederherstellen können. Das muss auf jeden Fall vermieden werden.» «Verstehe Boss.» Coppelius war wieder einmal im Modus unterwürfig. Was ja eigentlich der Dauerzustand aller war, die mit dem Zeitnazi zu schaffen hatten. Die Zeitnazis, die Fascisti Rotolanti, sie alle waren nach den vielen Kämpfen immer noch nicht besiegt. Bröno hatte seinen Todesstern zwar eingebüßt, war mehrfach in andere Dimensionen katapultiert worden, aber immer noch hatte er die Ambition auf die Herrschaft über das bekannte Universum nicht aufgeben. Brandner und Höcke standen ihm zur Seite. Thiel und Musk zahlten fleißig aufs Konto der braunen Soße ein, Orbán, Trump und alle anderen Diktatoren waren in ihren je verschiedenen Neurosen längst Gefangene von Selfmachteger-Spretz. Kurzum: Es gab sicher ein, oder kein Entkommen. Waren erst einmal die Wahlen abgeschafft, waren dann die multilateralen Verträge aufgekündigt und ihre Gebilde in Zwist zerfallen, war die Chance für ein allererstes Großreich über alle Räume, Raumzeiten und Äonen hinweg gekommen. Und er, Bröno, der Große, wäre der allererste Führer. Er stand auf, drehte sich und schritt aufrecht in seiner schwarzen Uniform mit glänzenden Stiefeln und zurückgegelten Haaren zur Bar, öffnete den Globus, entnahm eine Literflasche Kümmel und schenkte sich ein Wasserglas ein. Der Alkohol war sein Freund geworden. Zu häufig hatte er sterben müssen, um nicht irgendwann einmal, des ganzen Schmerzes überdrüssig, dieser Volksdroge zu verfallen. Er drehte sich wieder Giuseppe zu und meinte: «Nun gut, aber jetzt zu etwas ganz Anderem. Du musst mir etwas besorgen. Ich will die ‹Opferung Isaaks› von Andrea del Sarto, aber die Fassung aus dem Prado. Wie du das anstellst, ist mir ziemlich egal. Mach es einfach.

Kampmann per SWIKI mit Büttner beim Versuch, miteinander zu sprechen. Foto: Familie Weiß

Giuseppe kümmerte das nicht sonderlich. Er würde Thomas Crown beim Poker bescheißen, dann hätte er ihn in der Hand. Und der spazierte bekanntlich in jedes Museum und holte alles, was sein musste. Denn auf Schulden konnte er nicht. Was aber keiner der beiden wusste: Die Liebe Gott hatte natürlich alles mitbekommen. Und sie würde auch dieses Mal dafür sorgen, dass der Potentat das Bild nicht erhielt. Aber wie? Und was war derweil mit Kampmann und Büttner los? Die wollten nach Bremen, und außerdem befand sich alles gerade in einem gehörigen Durcheinander, ganz so, als habe jeder Geschichtenerzähler seine Intelligenz an der Garderobe einer Süßwarenmesse abgegeben. «Das wird schon wieder», meinte lapidar die Liebe Gott, «das wird schon wieder». [Fortsetzung folgt vielleicht]

Soundtrack: Hard Feelings (Amy Douglas, Joe Goddard), Hard Feelings, (Domino) WIGLP491XM, rotes Vinyl, 2021