Drowning by Numbers

Für Büttner, heute, wann sonst

«Byzanz, was ist schon Byzanz», schrie er laut den Truchsess an. «Es wird eine Zeit geben, da wird das Angelsächsische sich durchgesetzt haben. Dann nennt man Dich Caterer, und Du hast dann keinen Herrn mehr, musst Dir selbst genug sein und zusehen, wie Du die Kapaunen an die Mäuler bringst!» Karl wusste Bescheid. Über alles. Seiner Frau warf er einmal vor, sie sei eine Heli-Hexe. Der Kardinal warf sie daraufhin in den Kerker, sie wurde gefoltert und verbrannt und irgendwann, wie alle, dann doch heilig gesprochen. Verkehrte Welt. Das verstehe einer?!? Und jetzt kotzt sich der Alte über Byzanz aus.

Hinter seinem Rücken wurde schon geredet: «Die imperialis dignitas mit weltlicher Macht über das zweite Rom ist die mittlere von drei Positionen der Ehre, die bis jetzt höchstes Ansehen in der Welt genossen. Aber der Karl, unser Kalli, den kümmern nur die Viecher, die Häuser und all die Sachen in seinem Besitz.» Alkuin erklärte das seinem dichtenden Kumpel Theodulf. Es könne doch nicht sein, dass er mir nichts dir nichts seine Zeit vertrödele, anstelle der Pflicht zu regieren nachzukommen. Und dann sage er etwas, werde falsch verstanden, und der Klerus kille seine Frau! Geht’s noch? Alkuin war wirklich sauer. «Als neulich dieser Typ, Elipand aus Toledo mit dem Dummschwätzer Arius auftauchte und Kalli sich anhörte, was die zu erzählen hatten, dachte ich, es sei vorbei mit dem Reich. Aber das wirklich Dramatische ist doch, dass Kalli sich daraufhin wirklich verändert hat.» «Ich werde das verdichten», meinte Theodulf. Er war stets auf der Suche nach spannenden Stoffen. Und er hatte das Gen, das ihn das Orm spüren ließ.

Hoch auf den Bergen, da poltert der Kalli auf einer seiner Pfalzen. Foto: Familie Kampmann

«Weißt Du was, Alkuin? Du solltest Dich nicht so aufregen. Wir wissen doch alle, dass die RDS überall und nirgends ist. Die Leute von der RDS sind Wirtschafts- und Politikberater. Das waren sie schon zu allen Zeiten. Wenn dann ausnahmsweise mal nicht Büttner, Kampmann, Karsch, Thiel, Rinck, Rabanus, Eberhard oder Quiring kommen, dann wundere Dich nicht.» Derart hob der Vortrag des Dichtenden an. Wir sehen ihn in der konspirativen Kate jenseits der Stadtmauern. Wir sehen beide, Alkuin wie Theodulf, im Inkognito als Landmänner. Und so hörte denn Alkuin, was der weise Dichter ihm zu sagen hatte.

«Es begab sich aber zu einer Zeit, da ging ein Gebot des Kaisers um, dass sich alle Welt zählen ließe. Musste sein, da ansonsten weder die Zehnten noch andere Tribute in hinreichendem Umfang entrichtet werden konnten. Wer keine Zahlen hat, der weiß auch nichts von der Welt. Und dann wird es dereinst kommen, das Regime der Zahlen. Ich sehe, wie das Orm mir das Bild formt. Menschen, die vor ihren Endgeräten sitzen und nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Sie haben Licht in der Dunkelheit der Nacht. Immer. Sie haben Sonnen gebändigt und Blitze in Metalladern verschwinden lassen. Und sie zählen all dies mit ihren Instrumenten. Karl wiederum zählt heute schon alle Dinge auf seiner Scheibe. Überall wo er Besitz hat. Und die RDS berät ihn dabei? Aber klar doch. Es geht noch zu viel verloren. Schließlich ist die Doppelte Buchführung nicht erfunden. Unser neuer David, unser neuer Konstantin ist groß in seiner Weisheit. Verstehst Du das, Du Vollpfosten. Also: Reg Dich ab!»

Und gnadenlos machte Theodulf weiter: «Die Ökonomisierung geht einher mit der totalen Numeralisierung. Wer nicht zählt, der nicht gewinnt. Neulich war ich in Paderborn im Jahr 1999. Das war der Hit. Die haben da 1200 Jahre zurück zu uns geschaut. Und sie fanden Kallis Zählneurose. Haben das aber so harmlos geschildert. Aber wie gesagt, gräme Dich nicht, wundere Dich nicht. Er kann nicht anders. Und besser, er weiß, wie viele Hühnchen und Hähne auf seine Pfalzen scheißen, als gar nicht. Denn so kann er sagen, was wer wann braucht. Und außerdem kann er berechnen, was morgen gefragt sein wird. Und damit hat er nicht nur Zahlen, sondern auch die Kontrolle. Er kann die Abgaben bestimmen, weil er weiß, was er braucht, um noch mehr Land an selbiges zu ziehen, verstehst Du das, Du Hornochse?»

Und so ging es in einem fort. Währenddessen quält Irene useren Kalli. «Dieses dreckige Byzanz. Ich will nicht mehr. Kein Wort Griechisch mehr in meiner Gegenwart.» Karls Zorn wütete. Arius hingegen besänftigte den Mann. Er solle sich mit Mathematik und Griechisch beschäftigen. Merkwürdig. Damals dachte die RDS noch, dass auch mit der numerischen Vernunft das Leben zu verbessern sei, aber bereits zu Kallis Zeiten stellten sie fest, dass der dual use alles beherrscht. Nutzen und Verderben. Wie nah lagen die beieinander. Theodulf sinnierte, stierte in sein Bier, kippte es und stand auf. Alkuin war baff. Er holte den PILZ-Transponder und schickte eine Eilmeldung an RTL. Wieder hatte er etwas gelernt. Nun musste er sich sputen, wieder hinter die Stadtmauern zu gelangen. Theodulf hingegen zog es in den numinosen Wald vor Aachen. Es war Zeit für das Zahlenlose.

Soundtrack: Benjamin Britten, Courtly Dances from Gloriana, Op. 53a («Premier Recording At Symphony Hall»), Nimbus Records, NI 5295, 1991