Cat Tschippitea ist Ingenieurin auf dem Orm-Akkumulator «Hermeneutischer Zirkel». Sie verkörpert den typischen Anpacker, weiblich. Dreck unter den Fingernägeln, der niemals weggeht (schöner: «den man selbst mit avanciertesten Reinigungsmethoden und -mitteln nicht beseitigen konnte, es sei denn man zöge diese Keratinerzeugnisse mit Stumpf und Stiel heraus, was Bröno sicher gern gemacht hätte», aber Selfmachteger-Spretz ist zum Glück gerade nicht anwesend; hier auf dem aktuellen Schauplatz sowieso nicht); sie ist der Typ von Frau, der alle Wesen – alle – so dermaßen anzieht, dass bei «allen alles» stets unter der Gürtellinie endet, ob im Geiste, also im Reich der Vorstellungsmächte, oder im Realen. Sie ist das bessere und wirksamere Pendant zu dem Coca-Cola-Werbetypen, der als Fensterputzer schwitzend vor der komplett unrealistischen Vorstandsetage, besetzt ausschließlich mit hübschen Frauen im grauen Einerleidress der Büretristesse, mit freiem Oberkörper die Dose ansetzt, leert und grinst.1 Das ist dermaßen exosexistisch, dass es nur so knallt und knarzt in den Unterhosen dieser Welt. Es ist jedoch vollkommen gleichgültig, ob diese Fantasie die Gedanken von irgendwem detektivisch in irgendeiner Weise auf den Autor zurückwirft, ja geradezu -schmeißt[, denn das biedert sich immer an, weil ja Schleiermacher bereits meinte, dass man die Urheber besser verstehen solle als die sich selbst], was sie, Cat, immer kann, immer, oder ob das Gespinst einfach nur, wie so vieles hier, dem galoppierenden Vorstellungsvermögen einer daher fantasmierten, fantasierenden Kohlenstoffeinheit entsprungen ist. Im Sinne von: «einfach so». Oder «weil». Oder «ebendrum». Egal.
Womit wir beim Thema wären, denn Cat geht vieles so ziemlich auf den Wecker: «Warum eigentlich muss unser Antrieb mit dieser verdorben-vermixten Geschichtenpaste betrieben werden, die ihre Reinheit durch Realismus verliert?», fragte sie in der Messe ihre Kollegin aus der Strategischen Leitung, Bina Femaroll. Beide drückten sich vor einer Antwort, denn sie führte zum Kern der Mission. «Ich sage ganz ehrlich: Die Captain gibt wie immer keinen Kurs vor, und das ist richtig. Sie piped die Unwirklichkeit in die Brennkammern und gibt Realität, also tatsächliche Realität dazu, etwa indem sie es zulässt, dass Eigennamen aus der Außenwirklichkeit ins Innere unseres Universum platziert sind, also gibt, pumpt, spritzt echte – hört sich so blöde an – echte Realität mit hinein. Ist doch der Hammer. Damit wird unser Treibstoff hybridisiert.» Sagte Bina. Stierte an die Decke und war dennoch nicht glücklich. Horst Brand, der Mensplainer aus der ZEH, Zentrale Einheit Heimlichkeit, dem internen Schiffsgeheimdienst, der hatte, wie immer, die Lauscherchen überall und stets sperrangelweit geöffnet, und dachte mit leichten Bauchschmerzen darüber nach, ob er sich einmischen solle. «Femaroll, was lässt du dich schon wieder mit dieser alten Schlampe ein? Geh’ an die Arbeit.» Brand pflegte den von ihm so titulierten Zehismus. Der gründete auf der Vorstellung, dass er seine Rolle an Bord mit dem höchstmöglichen, realen Fiktionalismus spielte. Er war im Geheimdienst, also spielte er den perfekten Unterdrücker, so einen wie irgendeiner beim CIA, KGB oder irgendeiner bei irgendeinem anderen Dienst. Dass er sich damit keine Freunde, sondern allerhöchstens Lacher einfing, ging ihm am Allerwertesten vorbei. Er verstand sich als Überzeugungstäter, hatte in einer berühmten Literatenschule in Ostdeutschland als Hausmeister gearbeitet, und seitdem putzte er alles sprachlich aus, was ging: wenn man ihn ließ. Cat und Bina hatten anderes vor. «Verpiss’ dich, Sack und schnüffel woanders.» Die Stimmung in der Messe war ja wieder einmal herausragend. Man ging hier nicht nett miteinander um. Das war klar. Schiffsreisen waren schon immer das, was sie immer waren: Angelegenheiten für raue Typen. Selbst in der christlichen Luftschiff- und Raumfahrt war es nicht anders.
«Ich war mal in einer Straße in einer Siedlung in Almere am Südufer des Norderplassen unterwegs, die hieß ‹De Realiteit›», hob Bina Femaroll ihre Erzählung an. «und da standen lauter kleine Häuschen. Die waren aber alles andere als realistisch. Ich meine, wer baut denn so kleine Buden? Es sah aus wie im Auenland, nein, wie auf der Modelleisenbahn, nur dass die Architekten allesamt gebaut hatten, wie sie es als ideal empfanden und nicht wie es der Markt vorgeschrieben hatte. Der Einbruch der Avantgarde in die Niedlichkeit niederländischer Eigenheimbaukunst, oder so ähnlich. Das war ziemlich verrückt. Aber es war auf dem Boden der Tatsachen. Und die Größe der Häuser spielt da natürlich keine Rolle. Es ist ewig her, dass ich dort war. Also selbst wenn ich es für ein Problem erachte, dass wir mit realitätsverseuchtem Sprit fliegen, ändert das doch nichts an der Tatsache, dass damit die Würze ins Spiel kommt. Das Spice, die Melange – nenne es wie Du willst.» Cat dachte nach. «Du magst damit recht haben.» Sie spannte die Muskeln ihres linken Unterarms rhythmisch an und entspannte sie wieder mit steigendem Taktschlag. Das machte sie immer, wenn sie nachdachte oder zum Klo musste oder beides. Der leichte Flaum auf ihrem Unterarm stellte sich dabei wie elektrisiert auf und legte sich wieder. Die Muskelfasern zeichneten ein Längslinienmuster wie aus rötelfarbener Tusche mit dezenten aber deutlichen Höhungen von Helligkeiten, spiegelnd geradezu, unter der bronzenen Haut. Dieser Teint war zum Sterben: schön. Dann ballte sie ihre Faust, kreiste sie vor ihrem Auge und ließ alle Anwesenden diesen Anblick genießen. Zog das Tanktop straff Richtung Bauchnabel. Stand auf, streckte sich und hinterließ beim Gang zum Klo ausschließlich offene Münder und herunter geklappte Kinnladen. «Was für ein Wesen», dachte Bina. [Fortsetzung folgt vielleicht]
[1] An dieser Stelle möchte man den Werbetreibenden gratulieren. Denn zeugt es nicht von erheblich ausgeprägter Intelligenz, die Verschränkung von Räumlichkeit so ins Spiel zu bringen und ans Begehren zu koppeln, dass dem Betrachter der kurzen Sequenz schwindlig wird? Ja, es ist ziemlich intelligent, dieses Streifchen. Es ist ein Spiel des Innen mit dem Außen und den Blicken. Draußen, befindet sich also das doppelte Objekt der Begierde: der Typ und seine Cola-Dose. Drinnen sind die Frauen, die so, als schauten sie von außen auf ein Aquarium, das ein begrenztes Innen ist, auf das Objekt und seinen Fetisch schauen. Nun ist jedoch der Typ draußen, die Frauen sind drinnen. Aber er kann nicht fliegen und ist demgemäß doch wieder drinnen, also in seiner Hebebühne, weil das Spiel mit Raum und Blick in luftiger Höhe vor den Fenstern eines Wolkenkratzers gespielt wird, und die Frauen, die ja sozusagen den objektivierenden Blick «ausüben», sind eingesperrt in ihren stereotypen Begierden. Und alle sind gefangen im Reich von Coca Cola. Wenn sie es sich recht überlegte, war das eine verdammt kluge Werbung. Wirklich jetzt!
Soundtrack: Prodigy, The Fat of the Land, XL-Recordings/EMI, XLCD 121, 1997