Heilige der letzten Tage

Salt Lake City / Poisonville / Pissville / Butte

Schnurstracks waren sie nach Salt Lake City gefahren. Sie wollten unbedingt die Joseph and Emma Smith Statue mit der Camera Obscura ablichten. Und sie wollten endlich den Ort sehen, von dem aus die Mormonen in die ganze Welt auszogen, um missionarisch tätig zu werden. Büttner schaute auf den Stadtplan und dirigierte Reuss ins Zentrum von Salt Lake City.

Sie parkten den Wagen und gingen, bepackt mit der schweren Camera Obscura, die letzten Meter zur Statue zu Fuß. Die Sonne brannte heiß.

Hinter der Statue lungerte Wim herum. Als FfK das Foto geschossen hatten, sprang er hinter der Statue hervor.

Reuss machte diesmal die Aufnahme alleine. Sein Vegetarismus zeichnete ihn für diese Aufnahme aus. Büttner erblickte Wim, der hinter der Statue hervorkam und schüchtern grüßte. Sofort entspann sich zwischen Wim und Büttner ein sonderbarer Dialog.

Wim war mit Travis unterwegs, mit dem er gemeinsam auf Hammets Spuren war und dessen Lebensweg recherchierte. Hier, so Wim, in Salt Lake City, habe Hammet lange verweilt und sich zu seinem Buch Rote Ernte inspirieren zu lassen. Kein anderer Ort in den USA sei so korrupt wie diese, von einem Quacksalber gegründete, Stadt. Dies alles wusste Wim, weil er seit längerem mit Professor Zimmer im Austausch stand. Zimmer hatte gerade sein zweites Buch mit dem Titel Der Weg nach Abessinien veröffentlicht, das er selbst eine Meditation des Schweigens nannte. Der Weg nach Abessinien spürte Schriftstellern nach, die das Schreiben aufgegeben hatten. Hammet zum Beispiel.

Professor Zimmer galt als ausgewiesener Hammet-Kenner. Und es war nur schlüssig, dass Wim Kontakt mit ihm aufnahm.

Büttner schlenderte zur Kirche der Mormonen, die in weißer Pracht am anderen Ende des Platzes erstrahlte.

Der Salt Lake Tempel war, gesehen aus der Ferne, nicht so groß, wie er auf Bildern in WASTE erschien.

Wim folgte Büttner, und gemeinsam betraten sie den Tempel. Überall wuselten Touristen herum und fotografierten sich vor einer riesigen Jesus Statue. Umringt wurden die Touristen von freundlichen Mormonen, die wiederum von neugierigen Touristen umringt wurden. Und so weiter. Es hörte gar nicht mehr auf, das viele umringen und so dauerte es eine Weile, bis Wim und Büttner sich vor die Jesus Statue gekämpft hatten. Wim zog seine Polaroid SX-70 hervor und machte ein Bild von Büttner.

Über PILZ riefen Bohl und Reuss Büttner an und fragten, wo er denn verdammt nochmal bleibe. Man habe doch noch einiges vor. Unter anderem Miller Bier für die kommende Nacht aufzutreiben. Büttner sagte zu, so schnell wie möglich zu den Freunden zu stoßen.

Zuvor aber klärte er Wim darüber auf, dass Salt Lake City vielleicht ein Pissville sei, ob des religiösen Kladderadatschs. Aber mitnichten sei Salt Lake City Personville oder Peaceville. Zwar sei jede Stadt in den USA in gewisser Weise ein Pissville, aber eben nicht Salt Lake City. Und überhaupt, so Büttner zu Wim, habe Hammet in Rote Ernte über Butte geschrieben. Und das, so Büttner weiter, liege in Montana, nicht in Utah. Ach, erwiderte Wim, Butte liegt in Montana, nicht in Utah?

Etwas pikiert und etwas ärgerlich zog Wim mit Travis von dannen. Im Vorbeigehen übergab er das Polaroid einem Mormonen, zeigte in Richtung von Büttner, der sich zu den Freunden gesellte, und sagte, der eine da, der mit der Sonnenbrille, geben sie es ihm.

Büttner stand wieder bei den Freunden und gemeinsam beratschlagten sie, was als nächstes zu tun sei. Als sich ein Mormone den drei Freunden nähert und sie prompt auf Deutsch ansprach, blicken sie sich verwundert an. Woher wusste dieser gottverdammte Mormone, dass sie Deutsche waren?

Soundtrack: A.R. & Machines, Wahrheit und Wahrscheinlichkeit, Die grüne Reise, Polydor, 1971

Nachtrag

Büttner entdeckt viele Jahre später in seiner rechten Hosentasche das Polaraoid, das Wim aufgenommen hatte. Er steckte das Polaroid in einen Briefumschlag und adressierte es an Wim. Dem Polaroid legte er noch eine Notiz bei, auf der Stand, «Es ist für dein Buch Einmal

Erstaunt sah Büttner auf dem Polaroid Travis abgebildet und nicht sich selbst. Wie hatte das Wim angestellt?

Professor Zimmer arbeitete an seinem nächsten Buch, das sich dem Lebenswerk von Hector Mann widmete.

In Salt Lake City erkannten FfK den für sie allgemeingültigen Schlüsselsatz zur Fotografie: Jedes festgehaltene Bild hat eine Aura von Heiligkeit. In seinem gleichnamigen Vortrag legte Büttner die Grundlage für den Deutschen Realismus, eine seit dato stilprägende Fotografie, die, ausgehend von der Wiesbadener Schule, die im Wiki Institut ihre Heimat hat, bis heute Jung und Alt zu inspirieren weiß.