Getränkewünsche

Er schlich sich wieder einmal an der Concierge in dem dunkelgrünen Holzhäuschen im Schatten großer Zypressen vorbei in den riesigen Garten. Genauer: ins Arboretum. Seit Jahrhunderten trafen sich die Eingeweihten, Weltverbesserer, die RDSler dort. Ljubica pfiff gerade einen kleinen, unwissenden Jungen zurecht, der den gepflegt-geharkten, kleinsteinigen weißen Kies ohne besseres Wissen um die Macht der Hüterin mit einer winterlichen Rutschbahn verwechseln musste, während Mutter und Vater damit beschäftigt waren, die Eintrittskarten zu bezahlen. Dass ungestümes, juveniles Fehlverhalten trotz eines geleisteten und lediglich tarnenden Eintrittsgeldes sanktioniert werden musste, verstand sich angesichts der Arbeit, die sich nicht nur hinter der Pflege dieser Oase, tief im Süden Kroatiens gelegen, verbarg, von selbst. In der Hitze des Hochsommermorgens hatte Büttner den Rat des RDS nach Trsteno einberufen. Hier, direkt an der paradiesischen Küste Dalmatiens, wo sich das Land auch seinen in Teilen zweifelhaften Weg in die Demokratie in den Jahren 1991 bis 1995 erkämpft hatte – das nahe Dubrovnik bezeugte es nach der Disneylandisierung nur an Stellen der Mahnmäler – lag eins der wichtigsten Instrumente der All-Planetaren Hyper-Demokratie (APHD): das TRISTERO.

Zum Reichsdeputationshauptschluss hatten die damaligen Herrschenden den T&T-Leuten, aus denen dann später in der Neuen Welt AT&T entsprang, das Monopol der Datenübertragung abspenstig gemacht. Also zogen die Erben über den Teich, bauten dort mit Gloria Bell ein Netz auf, verlinkten alle Rockefellers, Fords, Carniegies, Rothschilds und ihre Partner. Drangen in die Kabelschächte von Astors Hochglanzabsteigen, regulierten Wort- und Geldströme, heißt es, auf teuflisch-kluge Weise, und machten also dort munter weiter Kasse und ergingen sich ihren Umtrieben bis ins Politische, wo sie auf dem alten Kontinent auch nicht aufhörten. Dafür gibt es natürlich keine Beweise. Aber die Indizienlast wiegt schwer auch auf Sankt Emmeram. Die RDS hatte lange und vergeblich gegen den dort herrschenden Oligopolismus gekämpft. Bis es dann zur Sprengung dieser lustigen American Telegraph and Telepath Company und der Entstehung einer merkantilen Novus ordo in Form zunächst kleiner, regionaler, dann aber zusehends nationaler, und dann globaler Organisations- und Marktformen kam; als Folge der fortschreitenden Digitalisierung international operierender Kommunikationsanbieter war ja nichts weiter passiert, als eine Restauration bisheriger Verhältnisse unter anderen Namen. Es war ja nie so, als habe da ein Name dahintergesteckt, aber wenn man die Doppelnamensträger machen lässt? Bis die Welle dann spätestens nach 1991 wieder zurück nach Europa schwappte und im kroatischen Trsteno, hier an Ort und Stelle, im Arboretum, das dem Scheine nach von einer erfundenen Academy of Arts and Sciences of the Croatian People gepflegt wird, anlandete.

Das Örtchen, malerisch in einer dieser adriatischen High-End-Wonderland-Reiseveranstalterkatalog-Buchten kurz vor dem magischen Dubrovnik gelegen, besaß sonst nicht viel, deshalb fiel es auch maximal touristisch auf. Es gab dort Platanen, die, Hunderte Jahre alt, Äste aufwiesen, die, mit Säulen gestützt, schwer an der Last ihres Alters zu tragen hatten. Und weil ihr Alter und ihr Gewicht nicht mehr vertrauenswürdige, quasi maligne Strukturen hervorbrachte. In diesem Sommer spielten die beiden Wunderbäume, die immer noch belebenden Schatten spendeten, bereits im hohen August den kommenden Herbst und gilbten langsam, aber sicher, vor sich hin, ein Opfer für das destruktive Verhalten der vollkommen verrückten Menschheit. Und während also Ljubica den Kleinen zurechtstutzte und Kampmann hinterrücks an einer lichten Stelle durch die vergitterte Grundstücksgrenze schlüpfte, wurde im Herrenhaus in einem der Geheimtrakte bereits alles für das Annual RDS World Support Summit hergerichtet. Die ganze Bagage wurde erwartet. Man hatte Yellow Submarine bereits, aus Tunis kommend, gesichtet. Der Fliegende Holländer mogelte sich, wie stets in einen undurchdringlichen Nebel gehüllt, an allen Radaranlagen dieser Welt vorbei, und lief mit seinen toten Seelen in den malerischen Hafen des Ortes ein, ohne von den Badegästen wahrgenommen zu werden. Ein kühler Windhauch mag vielleicht dem einen oder der anderen Sonnenanbeterin zugutegekommen sein.

Büttner traf Kampmann weiter nördlich am Rande des Gartens an dem Gedenkort für einen kroatischen Heiligen. Sie trafen erste Absprachen, stellten allerdings fest, dass sie die Spezialgetränke vergessen hatten und machten sich nun auf den Weg zum Hafen, um die Leute in Empfang zu nehmen. «Wenn die Jungs von Crocrew kommen, wird es peinlich», warf Kampmann spitz ein. Die hatten ein Spiel programmiert in Form eines First-Person-Shooters. Man ging darin durch einen Garten, der in der Anlage wie das Arboretum hier gestaltet war. Immer wieder kam man in kleine, mit Mauern umhegte Bereiche und musste dort Rätsel lösen, während hier in der spielfreien Zone, die Leute maximal die Namen von Pflanzen lernten und den Zauber des Arrangements genießen können. Hatte man in einem Level es geschafft, gab es als Belohnung und Schlüssel für weitere Aufgaben einen farbigen, speziell geformten Stein, der in der Villa, die im Spiel eher an eine Basilika erinnerte, als an dieses, doch eher als Landhaus konzipierte Bauwerk, in einen Apparat gesetzt werden musste. Immer wenn die Maschine auf diese Weise gefüttert worden war, erreichte der Spieler ein neues Level. Nebenbei gab es Hilfen, die aus Zitaten und Interpretationen von Werken der bedeutendsten Philosophen des Planeten bestanden. Wer das «Chaos Principle» durchgespielt hatte, war auf dem richtigen Weg. Er hatte nebenbei gelernt, wie die RDS funktionierte; also nichts weniger, als das, worauf es im Leben wirklich ankam. Und es fiel dem Spieler leichter, sich in ein friedfertiges Verhältnis zu sich und der Umwelt zu bringen. Und trotzdem war die Crocrew ein Haufen undisziplinierter Wilder, die natürlich zu viel tranken, kifften und mit überaus fragwürdigen Fahrzeugen zu den Meetings zu kommen pflegten. Kampmann, der alte Spießer, konnte mit denen überhaupt nichts anfangen, respektierte jedoch als Spieler das Spiel und als RDS-Propagandaminister deren Leistung.

Ob in diesem Jahr auch die Hairy Armpits nach dem Desaster in der Toskana dabei sein würden, stand noch zur Debatte, beziehungsweise es war eher spekulativ, ob und überhaupt. Kampmann hatte Angst vor einem Wiedersehen mit Margret, versteht sich, aber wer wollte es ihr denn verdenken? Damals, diesen Trip, dieses Gemetzel, das sich als «Gehacktes von Volterra» in die Geschichtsbücher eingeschrieben hatte. Hier, im kleinen RDS-Wunderland, hörte Kampmann übrigens keinen Pieps, sollten die roten Bikes des Todes doch anrauschen. Die würden oben an der Kirche des Sveti Vid abgestellt und sähen auch nicht anders aus als die zahllosen Karren, die Tag für Tag über die D 8 rauschten, Stichwort Biker-Paradies, Küstenstraße, Kurvenhimmel. Nein, der Zweck heiligte auch damals schon nicht jedes Mittel, und der Affekt ist keine Begründung für unmenschliches Verhalten. Aber vielleicht steckte Bröno dahinter. Man wusste es nicht, daher konnte es niemand, auch Büttner nicht, reflektieren. Hier ging es schlicht um Gnade und Rehabilitation. Die Gnade, die Kampmann zuteil werden würde, wenn er verzeihen konnte, und um die Rehabilitation von Margret und ihren Bikerinnen. Heikel, nicht final zu klären, es sei denn in Form eines Verdikts. Also erst einmal Enthaltung.

«Es ist mir zu heiß in diesem Land», stöhnte Kampmann. «Stell’ Dich nicht so an. Es wird schon noch. Lass uns die Leute einsammeln, dann gibt’s Brause im Haupthaus.» Büttner schienen die Temperaturen von über 32 Grad nichts anhaben zu können. Äh, Brause? «Hast Du die Limo geordert?», fragte Kampmann. «Äh, nö, ich dachte, dass Du das Catering übernehmen würdest.» «Ja, das Catering ist am Start, aber die haben nur Bier, Kaffee, Orangensaft und stilles Wasser im Programm. Nun gut, ich schnappe mir schnell den Sprinter und fahre mal eben nach Dubrovnik zum großen Konzum am Hafen. Hast Du einen speziellen Wunsch?», fragte Kampmann, dem schon beim Gedanken an die Fahrt mit einer Klimaanlage gleich besser wurde. Außerdem würde er durch Zaton Mali kommen. Das schrie nach einem kurzen Abstecher in die Strandbar kurz vor dem Ortsausgang. Die hatten das beste Bier. Und das kälteste. Und außerdem. «Bring auch mal ein bis drei Sechser Cocktar klassisch mit», riss Büttner ihn aus dem Traum. Würde er glatt machen. Und King Eis am Stiel. Also ab die Post. [Fortsetzung folgt vielleicht]

Soundtrack: Phoenix, Alpha Zulu, Glassnote, D40413, 2022/2023