Als er aufwachte, regnete es in Strömen, und er fror. Er blickte sich um und fand sich anders als sonst in der bekannten Umgebung bei Maurizio wieder. Perry hatte sich zu seinen Füßen in Donut-Form drapiert und schnarchte. Das Weinglas mit speckigen Fingertapsern stand auf dem Tisch. Er versuchte, ins Tal zu schauen, doch der nasse Vorhang war zu dicht. «Ich sollte ins Haus gehen, sonst erkälte ich mich womöglich noch», sagte er sich, streichelte Perry sanft über Kopf und Nacken, träumte sich zum Hund als Hund, ganz hündisch glücklich und, neidisch im Augenblick, wurde ihm ganz todessehnsüchtig zumute. Wozu das alles. Es ging ja doch nicht voran. «Maurizio!» Keine Antwort. Wo der wieder steckte? Kampmann streckte sich und fragte sich, wie lange es wohl her war, dass er hier in der Toskana im Berg bei Collemontanino seine Trails gerannt war. «Das vermisse ich.» Ich sollte hier bleiben, mich auszahlen lassen, mit der Amerikanerin eine Familie gründen und es bei der Pension belassen.
Damals. Wie lange war das her? Lindbergh war über den Atlantik geflogen. Hopper hatte sein «Automat» gemalt, Magnus Gösta Mittag-Leffler, genannt Gösta, war gestorben, und am 25. November hatten über 70 Regierungen, heißt es in einer Enzyklopädie, in Washington einen Vertrag eine internationale Regelung der Radiotelegraphie abgeschlossen. Damals. Das war die Zeit, in der er das erste Mal in die Toskana zu Maurizio musste, um einen Fall zu lösen. Er kam bei «Il Swizzero» unter. Der war einer der ersten Piloten der im Mai gegründeten brasilianischen Fluggesellschaft Varig. Kampmann kam in der Via Colline hinter Casciana Alta an, hatte seinen Rucksack mit den stilechten, altmodischen Lederriemen geschultert, steckte sich eine Zigarette an, nahm das Gehbier und marschierte in die Via Croce an der Cantina von Guiseppe vorbei. Ein Hund bellte von oben herab, und die Sonne ging langsam unter. Und anstatt den direkten Weg ins Tal zu nehmen, folgte er seinem Gespür und bog rechts in die Via di S. Giuliano ein, kam an einem der Häuser von Maurizio vorbei und sah im Schatten auf der linken Seite der sehr steil ansteigenden Straße eine junge Frau mit landesuntypischen feuerroten Haaren, die ihm den Rücken zukehrte. Und so ruhig wie dieses Jahr auch politisch war, so aufgewühlt war mit einem Mal sein Herz. Und als sie Kampmanns Schritte hört und sich umdrehte, stand die Pumpe still, und er dachte sich, hier sterbe ich und hier sterbe ich drei Mal. Oder vier oder fünf oder weiß ich denn was. Ihre Sommersprossen bewegten sich gen Himmel, denn Caroline musste über das dumme Gesicht des Jungspunds lachen.
Der Rest war mit der üblichen Tragik behaftet. Nach ein paar furchterregend liebevollen und liebestollen Tage musste Kampmann weiter. Alles war wie die Traube im Frühherbst. Die Kelter würde kommen. So oder so, es würde ein Jahrgang werden. Der Wein. Das Leben. Daran dachte er in diesem verregneten Augenblick, auch daran, dass er Caroline rücksichtslos dort gelassen hatte, nachdem er das Relais zusammen mit Maurizio in den Hügeln bei Colle installiert und in Betrieb genommen hatte, so dass Dr. Holger Karsch den Zeitrichtfunk in dieses Refugium seiner Sehnsucht abstrahlen konnte. Er kam seitdem immer wieder einmal vorbei und musste mitansehen, wie er jung blieb und Caroline älter wurde. Kampmann nahm sich vor, ihr Grab aufzusuchen. «Ich habe echt so viel Scheiße gebaut», sprach er zu sich. Es war langsam Zeit aufzugeben. Aber wie oft hatte er sich das schon gesagt, und immer wieder ging das Wohl der Welt und der RDS vor. Sicher, sie arbeiteten am Großen Gleichgewicht. Aber war es den Preis wert? «Schau dich nicht zu lange um», flüsterte Maurizio hinter ihm. Kampmann drehte sich überrascht um und versuchte, wieder zurückzukommen. Mittlerweile waren seine Füße durchnässt. Das pangalaktische Wesen gab ihm Halt. «Maurizio, wenn ich es nicht besser wüsste…» [Fortsetzung folgt vielleicht]
Genesis, And then there were three, Charisma 7164 073, 1978