Es riecht nach Leim

Mein Name ist Holger Karsch. Ich bin der schreibende Sohn eines Erfinders. Das ist das Stigma meines Lebens. Denn selbst wenn ich in Not bin, werde ich nicht sonderlich erfinderisch. Es ist wie damals, als ich noch Kind war. Und wir hatten diesen Schuster ums Eck. Da stand immer das Fenster leicht geöffnet. Überhaupt dieser Schuster. Die Kinder der Straße mochten ihn. Niemand hatte ihn je mit Angehörigen angetroffen. Wohnte er in dem Souterrain? Was machte er nach seinen Öffnungszeiten? Dieser Mensch war ein Geheimnis auf zwei Beinen. Damals mochte er um die fünfzig Jahre alt gewesen sein. Jordan sah diese niemals sauberen Finger. Sie waren Bockwürste mit Kraft und voller Leimspuren, die Fingernägel mit schwarzen Rändern wurden niemals sauber; und die Haut seiner Hände wirkte rau und arbeitswütig. Keinesfalls müde. Aus ihnen sprach eine Identität, die sich in den vielen kleinen Tätigkeiten für Taschen, Schuhe, Fahrradsättel und Futteralen niemals zu erschöpfen schienen. Jordan erinnerte sich daran, dass der Mann gesichtslos war und nur seine Hände sein Dasein zu spiegeln schienen. Jedenfalls für ihn, den Jungen in den kurzen Hosen und dem weißen Hemd. Im Viertel stellte der Schuster eine Ausnahme dar. Jedoch, man brauchte ihn, und so wurde er inmitten der wohlbetuchten Bürgerlichkeit zumindest geduldet.

Wäre er ein Künstler, man hätte seine Werkstatt Atelier genannt. Allerdings: Mit dem, was er altem Zeug angedeihen ließ, war er ein echter Künstler. Denn keine Schnalle war kompliziert genug, kein Schuh exklusiv oder heruntergekommen genug für seine Fähigkeiten, diesen Gegenständen eine weitere Spanne Lebenszeit zu spendieren. Vier Stufen trat man hinab vor eine grüne, hölzerne Tür mit groben Beschlägen, die stets ordentlich lackiert waren. Kein Wetter konnte dem Holz etwas anhaben, und die Klingel glöckelte erwartungsgemäß im Dreiklang ihres Geläuts, wenn der Kunde ohne irgendeinen Widerstand die Schwelle übertreten konnte. Jedesmal erfüllte sich beim Eintreten die Vorstellung wohlgeordneter Hilfeleistung. Imgrunde waren bloß seine Hände unordentlich. Stundenlang leistete Jordan dem Mann in den Ferienstunden Gesellschaft. Er beobachtete, wie nur Kinder beobachten können. Still und versunken waren beide. Gelegentlich sprachen sie über Olympique. Es herrschte störungsfreie Stille. Nur angelegentlich unterbrachen Kundinnen diese schweigsame Zeremonie des Beobachtens und Handwerkens. Natürlich, der Hammer. Jedoch gehörte das zur Stille, so wie es sich Jordan damals zurechtlegte.