Das verbotene Bad

Mirror Lake / El Capitan

Überall standen Schilder, die anzeigten, dass es verboten sei im Mirror Lake zu baden. Bohl, der nicht nur den Pop, sondern auch das Gurgeln und Glucksen des Wassers liebt, konnte bei dem Anblick des Mirror Lakes nicht an sich halten. Er riss sich die Klamotten vom Leib und stürzte sich in den See.

Um von dieser Freveltat abzulenken, brachten Büttner und Reuss die Lochkamera in Stellung. Sie zog, wie zu erwarten, die Blicke der Ranger und Touristen auf sich. Büttner fragte einen Park Ranger, wo denn der El Capitan sei, man wolle ihn fotografieren. Freundlich wies der Park Ranger in die Richtung jenseits des Mirror Lakes. «Da», rief Büttner zu Reuss, der gekonnt die Lochkamera um 30 Grad verrückte. Bohl posierte währenddessen für die Touristen als Badenixe, die sich nicht durch die Finte von Büttner und Reuss hatten ablenken lassen.

Bohl posierte für die Touristen als Badenixe.

Wie immer bestimmte Reuss die Belichtungszeit. Er plante eine Zeit von 3 Stunden und 56 Sekunden. Um diese zu erreichen, musste die Aufnahme zur richtigen Tageszeit vorgenommen werden. Bis dahin verbrachten die Freunde die Zeit mit Warten, dem Genuss von Miller Bier und Nichtstun. Das Warten war, wie bei Bergsteigern, eine der wichtigsten Disziplinen. Der richtige Moment musste abgepasst werden, entschied dieser doch über Gelingen oder Nicht-Gelingen, über Erklimmen oder Absturz.

El Capitan. Nicht im Bild: Alex Honnold, der in 3 Stunden und 56 Sekunden als erster Mensch den Klotz Free-Solo bestieg.

«Was veranstaltet Schrödingers Katze in der Schachtel? Ist ein Baum, der umfällt, umgefallen, wenn es keiner sieht? Ist Alex den El Capitan hinaufgeklettert, obwohl die berühmte Lochkamera-Fotografie Alex Honnold besteigt den El Captan in 3 Stunden und 56 Minuten dies nicht wiedergibt?» Mit diesen Fragen eröffnete Büttner am Mirror Lake die Chautauqua. Der Platz war gut gefüllt. Jung und Alt waren zusammengeströmt um Büttners Vortrag beizuwohnen. Selbst die Kletterer und Wanderer und Lebenskünstler die in Yosemite rumlümmelten, hatten sich eingefunden.

Gary Snyder hatte am Rande einen Büchertisch aufgebaut, auf dem in zigfacher Ausführung sein Gedichtsband Schildkröteninsel auslag. In den Redepausen von Büttner, die selten vorkamen, trug Gary sogleich ein Gedicht vor. Schnell gesprochen, denn Büttner holte nie lange Luft. Auch schwieg er bei Vorträgen, die er hielt, selten und nur ungern.

Die Große Mutter

Nicht alle die
An dem Sitz der Großen Mutter vorbeiziehen
Kommen nur mit einem Blick davon.
Bei einigen schaut sie die Hände an
Um zu sehen was für Wilde sie waren

Beuys, der noch immer ein Künstler sein wollte, der mit der Natur, der Ur-Natur, den Vorfahren und den Ur-Ahnen in Kontakt ist, schaute eifersüchtig auf Gary und dessen Büchertisch. Gerne hätte Beuys auch ein Gedicht vorgetragen, aber Büttner sprach wieder.

Gedicht: Gary Snyder, Schildkröteninsel, Stadtlichter Presse, Berlin, 2006

Foto: «Alex Honnold besteigt den El Captan in 3 Stunden und 56 Minuten», 4×5 Inch Planfilm, Lochkamera-Fotografie, FfK, 1994