Angst um Büttner

Kampmann musste die Feierabenduniform anziehen, damit er Büttner bei einer Übungsforschung der Radical Dude Society besuchen durfte. Der hatte sich in eine Urlauber- und Erholergruppe von Fronturlaubern eingeschmuggelt, um Feldstudien über den Müßiggang in der Wehrmacht anzustellen. Im RDS hatte sich damals die Auffassung verbreitet, dass ein genaues Verständnis von Zeiterfahrungs- und -auffassungsstrukturen, also sowohl die individuellen als auch diejenigen, die in Form von Durchregulierungen des Tages den Takt der Soldaten angaben, dazu hätte führen können, mit einer exakt platzierten Zeitbombe den Zweiten Weltkrieg zu verändern. Den nämlich abrupt zu beenden. Der derart ausstaffierte Agent, und das kann man ihm glauben, dass ihm diese Verkleidung keinerlei Freude bereitete, machte sich auf den Weg zum Agenten, doch er fand vollständig unerwarterweise Familien vor, Frauen, Kinder und Uniformierte, aber eben keine Urlauberkompanie und: Büttner war nirgends zu finden. Angst.

Kampmann sucht Büttner.
Kampmann sucht Büttner. Es riecht milchig. Er ist am falschen Ort. Foto: Familie Paasch

Kampmann schaute auf die Urlaubsalm und befürchtete, dass es Büttner erwischt haben könnte. Die Nazis hatten ihre Schergen überall. Die Arme der Gestapo-Verbrecher, die Tentakeln von SS und SA: Sie alle verstanden sich bestens darin, freud- und humorlos einen Urlaub in eine Wallfahrt des Todes zu verwandeln. Kampmann, der sich mit Müh’ und Not den Zugang in diese Region erschlichen hatte, übernahm für Büttners Leben die Verantwortung, er versuchte es, und er fragte sich zur nächsten Etappe durch. Unter den Menschen dort fiel er ja nicht groß auf. Denn die Uniformen gehörten nicht nur zum Straßenbild, sie waren in dieser Zeit notwendig, um sich – nicht nur als Mann – überhaupt in der Öffentlichkeit blicken lassen zu können. Eigentlich war die ganze Szene ein trügerisches Idyll, das so weich milchig roch, wegen der vielen Kleinkinder, die da mit roten Bäckchen und blonden Haaren auf dem grünen Grund sich trollten. Inmitten der Aufstellung die stolzen Mütter, deren Blick oft gen tiefblauen Himmel ging, an dem die Geschwader der Heinkels HE 111 und Messerschmitts BF 109 entlang zogen. Wie in der Wochenschau. Währenddessen sah Kampmann dort nur Totenköpfe in den gläsernen Kanzeln.

Büttner hatte sich derweil natürlich nicht aus dem Staube gemacht. Im Gegenteil: Er sah, dass dort am vereinbarten Untersuchungspunkt keine qualitative Forschung zu betreiben war. Es hatte ihn an einen anderen Ort des mörderischen Ennui zwischen 1933 und 1945 getrieben: den Lazarettzug. Aber wie findet Kampmann ihn? Was muss er tun, damit Büttner nicht allein das alles durchstehen muss. [Fortsetzung folgt vielleicht]

Soundtrack: Schubert, Serkin ‎– Quintet In A Major For Piano And Strings, Op.114, CBS ‎– MY 37234, CBS Great Performances – 27, Vinyl, LP, Stereo, Reissue, USA, 1981 (1967); Columbia Records Pressing Plant, Terre Haute; Violin: Jaime Laredo, Bass: Julius Levine, Cello: Leslie Parnas, Viola: Philipp Naegele, Klavier, Leitung [Musikalischer Direktor]: Rudolf Serkin, Tonmeister: Edward T. Graham, John Produzent: Thomas Frost; Design [Cover]: Henrietta Condak