Bericht aus Norden

… also ganz klar. Hier im Norden, also in und um Norden, ist es sehr schön. Soweit der Konsens besteht, dass Landschaft, selbst die am Meer, unisono schön sei. Aber die ANDEREN, die deutschen Touristen in Norden, geben mir zu denken.
Wenn Outdoorbkleidung, die ich ja selbst sehr schätze, kollektiv von vielköpfigen Familien in mausgrau und graublau getragen wird, dazu labelfreie Caps, dann lässt mich mit Bestimmtheit dieser Anblick in Zukunft nachhaltig erzittern. 
Dass wir, also die Deutschen, nicht unbedingt ein ausgelassenes und herzliches und gut gekleidetes Volk sind, ist mir schon klar, aber dass Bitterkeit und permanente Frustration vererbbar sind, war eine neue, schreckliche Erkenntnis.
Dass diese in Zement gegossenen, mausgrauen Familien, Familien, also Familien, also mit Kindern und so, Kinder, die doch eigentlich fröhliche und anarchische Wesen sind, stets erbauliche Lebensfreude versprühen, also dass diese Kinder, schon mit 13 Jahren, oder früher, seltener später, exakt die Spießigkeit Ihrer Eltern angenommen haben, im Verhalten und sogar im Aussehen, oh weh, sage ich da nur, oh weh, wie erschütternd.
Norden scheint mir ein Sammelort für diese soziale Randgruppe zu sein. So eigenartig fremd kamen wir, meine Familie und ich, uns selten vor. Vielleicht scheint es einen Hang für diese Randgruppe zu geben, den Lemmingen gleich, sich hier in Norden zu treffen, um dann gemeinsam dem Tollhaus des Lebens zu entfliehen und sich in die Nordsee zu stürzen. Zumindest trafen wir die meisten nur einmal. 

Wären da nicht herzliche Bekanntschaften mit Ostfriesen (mit Ostfriesen!), unsere Stimmung wäre sehr betrübt gewesen.

Abends mussten wir erst mal den Böhmermann, der ja selbst an Spießigkeit nicht zu überbieten ist, in Endlosschleife hören, der sich, davon bin ich nun restlos überzeugt, seine Inspiration hier in Norden an der Nordsee holt.

Soundtrack: Fehlfarben, Grauschleier, Monarchie und Alltag, Welt Record, 1980