Er schafft es nicht

Er schafft es einfach nicht. Sich aufzuraffen, zu schreiben, zu veröffentlichen – das ist ihm eine gehörige Qual in der gegenwärtigen Lage. Wenn er denn schriebe, verstieße er da nicht gegen seine Absichten, sich nicht äußern zu wollen? Aber was sind schon Absichten, dachte er bei sich. Wieder einmal sitzt er auf der Couch und starrt aus dem Fenster. Er hat es sich schon eintausendundnochvielemalemehr durch den Kopf gehen lassen. Wie kann er an seinem Epos weiterschreiben, wenn in geografischer Spuckweite Krieg geführt wird? Wie kann er schreiben, dass jemand stirbt, der vollkommen erfunden ist? Und dann sterben die Menschen in der Nachbarschaft wirklich. Wie kann er seine Vorstellungen von und durch eingebildete Psychen wandern lassen, brutale Menschen als brutal schildern, Bösewichter als Schergen in Bunkern und Banken und auf Businessmeetings und Delegationsreisen auflaufen lassen, die keine Rücksicht auf andere und keinen Respekt der Menschlichkeit gegenüber zeigen, wenn dort, plusminus 1688 Kilometer weiter genau das passiert: Unmenschlichkeit, losgetreten von einem Oberschurken, der sich nur 2200 Kilometer Autostraße weit weg von ihm in irgendwelche Räumlichkeiten verkrochen hat, weil er, wie Oberschurken das so machen, nur noch seine Obsessionen gebärende Oberschurkenparanoia fährt. Wie kann er also unter diesen Bedingungen schreiben? Und: Was nur ist das Eingebildete im Angesicht der Wirklichkeit? Einer Wirklichkeit, die sich in wenig mehr als in schlechten Taktiken und Strategien sowie der Waffentechnik von den Auseinandersetzungen unterscheidet, die mit dem Westfälischen Frieden ein Ende fanden. Aber vielleicht ist diese Regression nur die zwangsläufige Folge des ohnehin bereits Geschriebenen. Vielleicht hätte weniger geschrieben werden dürfen. Vielleicht ist es daher vollkommen in Ordnung, wenn er nicht schreibt. Wenn er weiter auf der Couch sitzen bleibt und keinen Handschlag rührt, keine Taste tippt. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Wenn er nicht schriebe, erführe jedoch nirgendwer nach ihm, was mit ihm damals gewesen ist. Das aber würde bedeuten, dass er jemand wäre.