Gegen das Satthaben

Hat seine Form noch nicht gefunden. Muss sich sammeln. Greifen, versammeln. Mischen und rekombinieren… Hat jetzt. Er. Durchdachte seine Aktion. Machte sich auf. Sendete aus den Tiefen des Alls. Hyperfunksignale vom Stern der Schwärze, ausgefaltet in die Dritte Dimension, deren Tiefe nicht der simplen Flachheit gedankennah kommen konnte und den und die Menschen stets auf die falsche Fährte führte. Dachte er, einschreiten zu müssen. Die Menschen folgten dem Ruf. Es waren viele, der Raum war voll. Überall zuvor war es zu hören gewesen. Bröno Selfmachteger-Spretz werde in persona vor ihnen allen seine Gedanken ausbreiten. Großzügig. Spendabel geradezu. Wohin man in den unruhigen Tagen zuvor auch schaute: An jeder Ecke redete man darüber, dass Bröno nun sein Denken öffentlich machen würde. Und damit hatte niemand gerechnet. Es war wie in den Tagen des Alten Reichs. Zwar gab es die kleinen Könige nicht mehr, denn überall agierten die Statthalter der Masse, die Bröno zutiefst verabscheute, und jeder vermeinte, dass er sich, ja, ja, ganz sicher, ich weiß es bestimmt, mittlerweile darüber im Klaren war, dass das Bisherige eigentlich nur eine vorgeschobene Folie für den Profit von ein paar Prozent Auserwählter wäre. Eben der Weisheit keineswegs letzter erratischer Schlussstein der Gewissheit. Denen war der Zorn der Massen gewiss. Und was waren die denn schon? Edel ohne Adel? Nicht die Bohne. Adel selbst? Keine Spur. Dennoch ballten sich Mächte wieder und wieder, getrieben durch Profit und Algos. Es war eben die Krankheit dieser Zeit: Algoholismus und Algokratie. Durch diese Guggelgläser besehen, erschien es nur zu schön, wenn er, der Eine, der Erlöser käme. Wir wollen das alles nicht mehr! Wir können nicht mehr. Täglich gegen die Algos stemmen. Sekündlich den Stupsern erliegen, umfallen müssen. Süchtig die Kinder, süchtig die Alten, kein Entrinnen. Oh, ihr gnadenlosen Errynien, Tisiphone und Co., holt euch die fette Beute zu unserer Erlösung. Es erschien zwangsläufig unabwendbar, dass die Prediger eines Homo numerus ihre banal-solutionistischen Lösungen der allerletzten Fragen, so geht Revolution eben, genau auf diejenigen Wände tapezierten, auf denen vor Jahrhunderten bereits die Malermeister des Wechsels für farbliche Nuancen und neue Geschmacksrichtungen in Sachen Herrschaft und Macht gesorgt hatten. Es gab diejenigen, welche sich die Könige ausgesucht hatten, es gab diejenigen, die sich wiedererkannten in den Gestalten, die dort scheinbar für jedermann den Dienst verrichteten. Und dann gab es die Könige der Milliarden; doch bestimmen sollten andere. Meinte man. Sie wurden Elite genannt. Der Einfluss war zu groß, und das ist ja wenig erstaunlich, wenn einem alle Betriebsmittel angerechnet werden, weil Rechnen equals Dichtung in Neu und im Hier und Jetzt.

Er dagegen war auch riesig. Und er hatte Tradition. Es gab eine Kaste innerhalb des Systems, die der von Selfmachteger-Spretz. Gossenadel in Uniform. Jahrtausende Kanonenfutter. Jetzt aber in vollem Wichs. Und nun hatte sich alles verselbstständigt. Startup Bröno hatte es einrichten lassen und lassen können, weil er Weltraumdidaktor geworden war, also dass er hier oben sich nach Jahren wiederfand, und er konnte nun selbst als Reichsgestalter auftreten. Alle hatten es so gewollt. All in all, it was just a.

Gavotte. Auf zum Mikrofon. Bröno versteht etwas von Angemessenheit. Alles an ihm, Hand-, Armschwung, der Faltenwurf und die mächtigen Vorwölbungen seiner stylischen, schwarzen Reithosen aus Nanoseide, Licht! Mehr davon! Und an seinem Gang zum Rednerpult ist alles orchestriert, angepasst an das, was nun folgt – Haare stellen sich auf allen Armen auf. Es juckt einigen irgendwo: Sie könnten jetzt übereinander herfallen. Die Süße aber liegt im Gezügel, weil, da war er ja noch nicht, weil die Musik zwischen den Schenkeln unsichtbar und unhörbar den Raum zum Schweigen nötigt. – Ereignis, komponiert, orchestriert. Ohne prätentiös zu wirken. Ohne Unter- wie Übertreibung. Notwendigerweise so und nicht anders. Der Habitus eines früh weise gewordenen Staatsmannes, der sich nicht zu viel ist, den Beau zu geben. Trotz, oder vielleicht gerade wegen der leicht schiefen Schneidzähne, die schnitternd nun in den Sportpalast twinkeln. Die Ununterscheidbarkeit von Inszenierung und natürlichem Verhalten ist eine Kunst, die Bröno beherrscht. Wenn man sich anschaut, wie missachtend die meisten Menschen dem eigentlichen Ereignis gegenüber auftreten. Es braucht nur die zwei Minuten Wegs vom Off ins Rampenlicht der Bühne, um zu erkennen, wer da zu einem sprechen wird. Das ist die Kunst eines Selfmade-Selfmachteger-Spretzen. Ohne jedes Räuspern begann er zu sprechen. Kein Manuskript, auf das er zu schauen, zu spicken gar hätte. Der einzige Bröno of all times ist es gewohnt, wie kein anderer, mit seinen Wortverkörperungen zu überwältigen. Und hätte die gesamte Menschheit vor ihm gestanden, mit Adolf Hitler, Dschingis Chan, Mao oder Julius Cäsar in der ersten Reihe: Das hätte ihm nicht imponieren können. Seine Rede ist fest, ehern, abgerundet. In dieser Hinsicht gab es niemanden, der ihm das Wasser hätte reichen können.

Wenn man jemandem die Hand gibt, weiß man eigentlich sehr bald, mit wem man es zu tun hat. Wenn man Bröno die Hand gibt, muss man darauf gefasst sein, dass er spielt. Er weiß um den Einsatz seiner Fähigkeiten. Seine Autorität ist unglaublich, und ihr Herrschaftsbereich tentakelt sogar in solch banale Bereiche wie den Händedruck. Unversehens erwischt er einen dabei, ein wenig zu lasch zugedrückt zu haben. Und schon ist man ihm in die Falle gegangen. Es können Firmenbosse, Staatsmänner, Prominente sein: Der Bröno siegt über alle. Das schafft er mit einem kleinen Händedruck. Wenn Sie nicht aufpassen, drückt er zu, und Sie haben das Gefühl, ihm unterlegen zu sein: Obacht also. Ist es passiert, ist es vorbei. Das Nicht-Ereignis wird Sie den ganzen Tag beschäftigen. Was zur Folge hat, dass er Ihnen alles verkaufen kann, dass er Sie biegen und formen kann, wie er es will, denn er hat es ja schon längst geschafft, Ihren Widerstand zu brechen. Sie werden unaufmerksam und haben immer nur mit sich selbst zu tun. Können Sie sich das vorstellen? Wenn Sie hier in der Halle mit Tausenden stehen? Schlimmer noch ist die Scham, wenn Sie vielleicht schwitzende Hände gehabt haben. Das kommt schließlich vor. Es ist vielleicht Sommer. Es ist ein allzu warmes Jahr. In steter Regelmäßigkeit steigen die Temperaturen – immer noch. Die Wissenschaft hat schließlich festgestellt. Die Hände also feucht. Nicht extrem, aber feucht genug, um deutlich den Unterschied zu gemäßigten Tagen des Frühlings oder Herbsts zu bemerken. Das ist schon der erste Schritt in den drohenden Autoritätsverlust. Die Figur des Bröno Selfmachteger-Spretz ruft nämlich stets Widerstand hervor. Hautwiderstand heißt Energie und Stoffwechselbeschleunigung. Heißt Schweißpfoten. Bäh. Und in dieser blubbernd-unterschwelligen Verursachung und Versuchung eines leicht aggressiven Empfindens steckt der Kern von Brönos ganz natürlicher Siegesgewissheit, die unumgänglich jeden gegen ihn aufbringt und ihn lieben lässt. Da kann man sich noch so neutral geben. Und das Schlimmste an der Angelegenheit ist, dass man gar nicht weiß, ob man Recht hat, wenn man sich fragt, was man da gerade fühlt. Besser: ob es gerechtfertigt ist, sich so dermaßen auf eine Kleinigkeit wie den Händedruck zu kaprizieren. Und schon wieder ist man in seine Falle getappt. So geht das immer weiter. Und dann fängt er an zu reden. [Fortsetzung folgt vielleicht]

Soundtrack: RSF – Right Said Fred: I’m Too Sexy, TUG Records, Control Records, CON 4023-7 (1991)