Der Traum vom Nichts-Tun

Irgendwann war Kern da. Cheng, der Gauner, hatte Kern das halb verrottete Gehöft am Rande unseres Dorfes verhökert und sich anschließend aus dem Staub gemacht. Nun saß Kern in seinem nasskalten Gemäuer und trauerte, weil seine Freundin das Leben in dieser Bruchbude mit dem gemeinsamen Kind nicht gegen das behagliche Leben in der Großstadt eintauschen wollte.

Macht nichts, hörte ich Kern sagen, der gerade eine marode Holzbank unter den Birnbaum in seinem Garten schleppte. Warum soll ich denn arbeiten, nur um dann das ganze Geld in den Konsum von freier Zeit und anderen Annehmlichkeiten zu stecken?

Kern träumte von einem Leben auf dem Land. Mehr tat er nicht. Mehr bekam er nicht.

Tag für Tag saß Kern auf seiner Bank unter dem Birnbaum, tat nichts und magerte zusehends ab. Wir im Dorf registrierten das und bestimmten, dass Keule sich um den Neuen kümmern solle. Keule hatte die Gabe, immer dann aufzutauchen, wenn man ihn brauchte. Diese Gabe fokussierte er nun ausschließlich auf Kern. Und der, anfangs irritiert, dankte es ihm mit warmen Worten. Keule brummte dann immer etwas unwirsches in seinen Bart.

Kern begann, seine Bruchbude zu renovieren. Eine Sanierung wäre angebrachter gewesen, aber da hätte ihm das ganze Dorf unter die Arme greifen müssen. Im zweiten Jahr seiner Anwesenheit im Dorf nahm Kern wieder seine schriftstellerische Tätigkeit auf und begann über uns und das Leben im Dorf zu schreiben. Schon ein Jahr später wurde seine Geschichte als Buch herausgegeben. Ich hatte mir sofort ein Exemplar besorgt und mir schwante nichts Gutes.

Das Buch wurde ein Bestseller.

Peu à peu zogen weitere Aussteiger in unser Dorf. Anfangs waren wir belustigt. Doch irgendwann war jeder von uns eingespannt, den Neuzugängen als unwirscher, einfacher Dorfmensch beiseite zu stehen. Die Häuser und Gärten der Neuen prosperierten, während unsere Häuser und Gärten verfielen.

Cheng war zurück und kaufte nacheinander die verfallenden Gehöfte auf, um sie den Neuen anzudrehen. Kern selbst war längst weitergezogen und vermietete sein Gehöft über airbnb. Keule war im letzten Winter verstorben.

Soundtrack: Nico, The End, The End, Island, 1974