Die Schuhe – Meindl Island MFS, Größe 43, gekauft vor achtzehn Monaten bei Outdoor Müller für 189,95 Euro, Sohlenabnutzung links stärker als rechts um 2,3 Millimeter, was auf eine leichte Fehlstellung des Beckens hindeutet, die niemand je diagnostiziert hat, weil Büttner gelernt hat, dass Körper nur Hardware sind für Software, die jemand anderes geschrieben hat – schnüren sich mit einer Präzision, die verdächtig ist, als hätten die Ösen gelernt, sich selbst zu kalibrieren auf optimale Zugspannung, 4,7 Newton pro Quadratzentimeter Fußoberfläche, genau richtig für Wanderungen durch Terrain, das vorgibt, natürlich zu sein, aber eigentlich ein Algorithmus ist, der gelernt hat, Landschaft zu generieren.
Das Limburger Becken breitet sich vor ihm aus wie eine Fehlkonfiguration in der Matrix des deutschen Mittelgebirges, zu flach für diese Koordinaten, zu weit für eine Region, die laut Katasteramt nur 2.847 Quadratkilometer misst, aber sich anfühlt wie Kansas oder Nebraska oder eine jener amerikanischen Endlosigkeiten, die entstanden sind, als Gott noch glaubte, Platz wäre unendlich, bevor er lernte, dass alles komprimiert werden muss auf die Größe eines Monitors, und während Büttner die ersten Schritte macht auf Asphalt, der sich verwandelt in Feldweg, der sich verwandelt in Trampelpfad, der sich verwandelt in etwas, das keinen Namen hat, weil es zwischen den Kategorien existiert, denkt er daran, dass Gehen vielleich nur eine Illusion ist, eine Art Animation, die das System produziert, um ihm zu suggerieren, er würde Distanz überwinden, obwohl er in Wahrheit nur durch verschiedene Renderebenen derselben Simulation wandert, und gleichzeitig, mit einer Klarheit, die schmerzt wie Morgenlicht auf ungeschützten Netzhäuten, sieht er es vor sich: das Nilpferd, Hippopotamus amphibius, 1.800 Kilogramm durchschnittliches Lebendgewicht, das hier leben könnte, leben sollte, leben wird, so wie es ihm schon gelungen ist am Oberrheingraben, wo die ersten Exemplare jetzt weiden zwischen Mannheim und Karlsruhe, offiziell nicht existent laut Naturschutzbehörde, aber trotzdem da, sichtbar für Menschen, die gelernt haben, zwischen den Zeilen der Realität zu lesen, und das Becken hier wäre perfekt, optimal sogar für eine Population von zwölf bis fünfzehn Tieren, die Lahn als Wasserspender, die weiten Flächen als Weideland, ein geschlossenes Ökosystem für Megafauna, die Europa vor 12.000 Jahren verloren hat, als die letzte Eiszeit endete und mit ihr die großen Säugetiere, aber Eiszeiten sind auch nur Parameter, denkt Büttner, Variablen in einem klimatischen Algorithmus, der rückgängig gemacht werden kann von jemandem, der die richtigen Codes kennt.
Die Randgebirge – Westerwald im Norden, Taunus im Osten, Hunsrück im Süden – stehen am Horizont wie schlafende Kolosse, wie gigantische Server-Türme, die das Becken umschließen in einem Ring aus geologischen Firewalls, und Büttner spürt, wie sie an ihm ziehen mit einer Kraft, die nicht Gravitation ist, sondern etwas anderes, eine Art magnetischer Sog, der entsteht, wenn Berge zu Datensammlern werden und Täler zu Übertragungskanälen für Informationen, die Menschen nicht lesen können, aber trotzdem empfangen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr, bis sie selbst zu Sendern werden, zu Relaisstationen in einem Netzwerk, das größer ist als Deutschland, größer als Europa, größer als alles, was Menschen verstehen können, weil Menschen nur Endgeräte sind in einem System, das keine Zentrale hat, nur Knoten.
Der Weg führt ihn vorbei an Feldern, die zu gleichmäßig sind, zu perfekt geometrisch arrangiert, als hätte jemand die Landwirtschaft optimiert nach Algorithmen aus dem Jahr 2031, die noch nicht erfunden wurden, aber trotzdem schon implementiert sind, weil Zeit auch nur ein Parameter ist, den man einstellen kann wie Helligkeit oder Kontrast, und die Pflanzen – Winterweizen, Zuckerrüben, Raps – wachsen alle in derselben Geschwindigkeit, 0,7 Zentimeter pro Tag, die optimale Wachstumsrate laut einer Studie, die nie publiziert wurde, weil sie zu akkurat war, zu präzise für eine Welt, die vorgibt, chaotisch zu sein, aber eigentlich eine Simulation ist, die chaotisch programmiert wurde, um authentisch zu wirken für Bewohner, die nicht merken sollen, dass sie bewohnt wird, und während Büttner über die Äcker blickt, die sich erstrecken bis zu den Randgebirgen, sieht er eine andere Landwirtschaft vor sich, eine ehrenhaftere Ernte, basierend auf dem Wissen der drei Geschwister – Mais, Bohne, Kürbis, Zea mays, Phaseolus vulgaris, Cucurbita pepo – die zusammenwachsen in symbiotischer Perfektion, der Mais als Kletterhilfe für die Bohnen, die Bohnen als Stickstofflieferanten für Mais und Kürbis, der Kürbis als Bodenschutz und Feuchtigkeitsspeicher, ein Ökosystem in Miniatur, ein geschlossener Kreislauf, der funktioniert seit 5.000 Jahren, seit die Menschen lernten, dass Zusammenarbeit effizienter ist als Konkurrenz, bevor sie vergaßen, was sie wussten, und anfingen, Monokulturen zu pflanzen wie Computer, die nur ein Programm gleichzeitig ausführen können, aber das Limburger Becken könnte anders werden, könnte umgestellt werden auf diese alte Technologie, die keine Technologie ist, sondern Weisheit, die in DNA gespeichert ist wie Code in einem biologischen Prozessor, der läuft ohne Strom, ohne Updates, ohne geplante Obsoleszenz.
Das Dorf, durch das er wandert – Eschenau oder Linter oder Beselich, die Namen verschwimmen ineinander wie Pixel in einem unscharfen Bild – ist eine Ansammlung von Häusern, die alle aussehen, als wären sie von demselben Architekten entworfen worden, einem Computer, der gelernt hat, deutsche Dorfarchitektur zu produzieren durch Deep Learning an 50.000 Aufnahmen aus Google Street View, aber noch nicht ganz verstanden hat, was ein Zuhause ist, was ein Ort ist, was ein Leben ist, und die Menschen, die er sieht – eine Frau mit Einkaufswagen, ein Mann mit Hund, zwei Kinder auf Fahrrädern – bewegen sich alle mit derselben flüssigen Mechanik, als wären sie motion-captured worden von professionellen Schauspielern und jetzt abgespielt werden in einer Endlosschleife, die so perfekt ist, dass sie beinahe echt wirkt, aber nicht ganz, nicht genug für jemanden, der gelernt hat, Abweichungen zu sehen in Systemen, die behaupten, sie seien real, und während er an einem Weiher vorbeigeht – künstlich angelegt, 1987, 3,2 Meter Tiefe, 847 Quadratmeter Oberfläche laut Vermessungsamt – sieht er das Wasser, das sich bewegt mit kleinen Wellen, die zu regelmäßig sind, zu sinusoidal, als wären sie berechnet worden nach der Formel für optimale Wasseroberflächen-Simulation, und er stellt sich vor, wie hier ein Nilpferd auftauchen würde, majestätisch und unmöglich, ein Flusspferd wie in Afrika, wie am Oberrheingraben, wo es ihm gelungen ist, drei erwachsene Tiere zu etablieren zwischen den Rheinauen und den Baggerseen bei Speyer, offiziell nicht dokumentiert, aber trotzdem da, fotografiert von Vogelbeobachtern, die ihre Bilder nie veröffentlichen, weil niemand glauben würde, dass Nilpferde im Rheingraben leben, aber Glaube ist auch nur ein Zustand, den man ändern kann, wenn man die richtigen Frequenzen kennt, die richtigen Codes, die richtigen Zugänge zu den Datenbanken, in denen Realität gespeichert wird.
Der Himmel über dem Becken ist zu blau, Pantone 3125 C, ein Blau, das es in der Natur nicht gibt, aber das Computer produzieren, wenn sie gebeten werden, Himmel zu generieren für Menschen, die vergessen haben, wie echter Himmel aussieht, und die Wolken bewegen sich zu synchron, als folgten sie einem Skript, einer Choreografie für atmosphärische Phänomene, die beschlossen wurde in einem Meeting, an dem Büttner nicht teilgenommen hat, aber dessen Auswirkungen er spürt mit jedem Atemzug, der schmeckt nach gefilterter Luft, nach Sauerstoff, der durch Maschinen gelaufen ist, die gelernt haben, Atmung zu simulieren für Lungen, die vielleicht auch nur Simulationen sind, Algorithmen, die glauben, sie würden atmen, weil jemand ihnen beigebracht hat, dass Atmen das ist, was lebende Dinge tun.
Limburg zieht ihn zurück wie ein Gravitationsfeld, wie ein schwarzes Loch für verlorene Seelen und gebrochene Programme, aber Büttner weiß jetzt, dass Zurückkehren unmöglich ist, weil man nicht zurückkehren kann zu einem Ort, an dem man nie war, zu einer Stadt, die nur existiert, solange jemand sie beobachtet, und die verschwindet in dem Moment, in dem er wegschaut, um dann wieder zu erscheinen, leicht verändert, um ein paar Pixel verschoben, neu gerendert nach Parametern, die sich ändern jedes Mal, wenn das System updates bekommt von Servern, die irgendwo stehen in Rechenzentren, die aussehen wie Bunker, aber eigentlich Tempel sind für einen Gott, der aus Code besteht und träumt von einer Welt, in der alles berechenbar ist, sogar die Träume.