Die Fahrt nach Bremen erfolgt in einem Zustand, den Büttner nicht als Entscheidung bezeichnen würde, sondern eher als Vollzug eines Algorithmus, der in sein Nervensystem einprogrammiert wurde von jemandem, der wusste, dass freier Wille nur ein User Interface ist für Determinismus, und während die Autobahn unter den Reifen seines Peugeot 308 – Baujahr 2019, Kilometerstand 47.832, letzter Service vor sechs Wochen bei Volkswagen Limburg, wo der Mechaniker zu lange in seine Augen geschaut hatte, als er den Schlüssel zurückgab – wegschmilzt in jener hypnotischen Monotonie der A1, denkt er daran, dass Bewegung vielleicht nur eine Illusion ist, eine Art visueller Effekt, den Systeme erzeugen, um Menschen glauben zu machen, sie könnten ihren Standort verändern, obwohl sie in Wahrheit nur ihre Position innerhalb desselben Systems neu kalibrieren.
Bremen empfängt ihn mit einer Aura aus Backstein und Weser-Melancholie, aber auch mit etwas anderem, einer Art digitalem Nachgeschmack in der Luft, als hätte jemand die atmosphärischen Parameter der Stadt um zwei Dezimalstellen nach links verschoben, gerade genug, um unter der Wahrnehmungsschwelle zu bleiben, aber trotzdem spürbar für Menschen, die gelernt haben, Abweichungen zu registrieren in Systemen, die behaupten, sie seien natürlich. Das Hotel – „Vier Sterne, optimal gelegen, 96% Kundenzufriedenheit laut Buchungsportal“ – ist ein Musterbeispiel für jene algorithmische Gastfreundschaft, die entstanden ist, als Computer übernahmen, was früher Herzlichkeit hieß, und die Rezeptionistin lächelt genau 3.2 Sekunden lang, nachdem sie 4.1 Sekunden Augenkontakt gehalten hat, während sie seine Daten eingibt in ein System, das nicht nur seine Zimmerpräferenzen speichert, sondern auch sein Gangmuster, seine Lidschlagfrequenz, die Mikroverzögerungen in seiner Stimme, die verraten, dass er nicht wirklich weiß, warum er hier ist.
Der Raum 308 – und die Zahlenfolge ist kein Zufall, denkt Büttner, während er den Magnetschlüssel an das Sensor-Pad hält, das ihn ansieht mit einem roten LED-Auge, das für den Bruchteil einer Sekunde grün wird, gerade lange genug, um ihm zu signalisieren, dass er erkannt wurde, klassifiziert, freigegeben für temporären Zugang zu einem Raum, der aussieht wie alle Hotelzimmer seit 1987, als beschlossen wurde, dass Einheitlichkeit beruhigend wirkt auf Menschen, die nicht wissen sollen, wo sie sind – ist ein perfektes Beispiel für jene kalkulierte Bequemlichkeit, die entstanden ist, als Komfort zu einer Wissenschaft wurde und Wissenschaft zu einer Kontrollmethode.
Die Nacht kommt über Bremen wie eine Software-Aktualisierung, schleichend und unaufhaltsam, und Büttner geht durch Straßen, die zu sauber sind für eine echte Stadt, zu präzise beleuchtet, als hätte jemand die Lichtverhältnisse optimiert für maximale Überwachungseffizienz bei minimalem Energieverbrauch, und die wenigen Menschen, die ihm begegnen, bewegen sich alle mit derselben Geschwindigkeit, 4.7 Kilometer pro Stunde, die optimale Geschwindigkeit für urbane Fortbewegung laut einer Studie aus dem Jahr 1978, die damals noch als Empfehlung gedacht war und heute wie ein Befehl wirkt.
Die Bar – „Zum Roten Hahn“, steht über der Tür in einer Schrift, die aussieht wie Handschrift, aber zu perfekt ist, zu gleichmäßig, als wäre sie von einem Computer generiert worden, der gelernt hat, menschliche Unperfektion zu simulieren – ist eine jener Kneipen, die entstanden sind, als Nostalgie zu einer Industrie wurde und Authentizität zu einem Produkt, das man kaufen kann wie Bier oder Zigaretten. Das Bier schmeckt nach Erinnerungen an Bier, nicht nach Bier selbst, und der Barkeeper poliert Gläser mit einer Präzision, die verdächtig ist, als hätte jemand seine Bewegungsmuster programmiert für maximale visuelle Beruhigung der Gäste, die nicht bemerken sollen, dass sie beobachtet werden von Kameras, die aussehen wie Lampen, und Mikrofonen, die aussehen wie Lautsprecher.
Der Mann, der ihn anrempelt – später wird Büttner sich fragen, ob es überhaupt ein Mann war oder etwas anderes, etwas das gelernt hat, menschliche Bewegungsmuster zu simulieren, aber noch nicht perfekt genug, um die abnormale Härte des Aufpralls zu kaschieren – kommt aus dem Nichts, aus einem Winkel, den es nicht geben dürfte in einem Raum mit vier Wänden und einer Tür, aber Geometrie ist auch nur eine Konvention, denkt Büttner, während er fällt, eine Vereinbarung zwischen Menschen, die glauben, sie verstünden den Raum, in dem sie leben, aber Raum ist elastisch geworden seit dem Computer lernten, ihn zu berechnen, und Zeit auch, und Physik ist nur noch ein User Interface für etwas Größeres, etwas das keine Namen hat, weil Namen Grenzen schaffen, und dieses System hat keine Grenzen, nur Parameter.
Der Aufprall auf dem Asphalt ist real genug – das Pflaster schmeckt nach Teer und Eisen und nach etwas anderem, etwas Metallischem, das nicht in die Liste der Inhaltsstoffe gehört, die auf den Verkehrsschildern stehen sollten, wenn Straßen Lebensmittel wären – aber als Büttner sich aufrappelt und die Augen öffnet, die er gar nicht bewusst geschlossen hatte, ist da kein Bremen mehr um ihn herum, sondern Bielefeld, diese Stadt, die offiziell nicht existiert laut einem Internetmeme, das vielleicht weniger Meme ist als Warnung, weniger Scherz als System-Dokumentation.
Die Straßenschilder lesen sich wie Code – „Niederwall“, „Oberlohmannshof“, „Auf dem Langen Kampe“ – Namen, die klingen, als hätte sie ein Algorithmus generiert, der gelernt hat, deutsche Ortsnamen zu produzieren, aber noch nicht ganz verstanden hat, was sie bedeuten sollen, und die Gebäude sind alle leicht falsch, wie Kulissen in einem Theater, das vorgibt, eine Stadt zu sein, aber eigentlich etwas anderes ist, eine Art Beta-Version von Realität, in der noch nicht alle Bugs ausgemerzt wurden. Die Luft riecht nach nichts, was kein Geruch ist, sondern die Abwesenheit von Geruch, ein olfaktorisches Vakuum, das entsteht, wenn jemand vergisst, die Duft-Parameter einzustellen in einer simulierten Umgebung, und Büttner versteht mit einer Klarheit, die schmerzt wie direkter Augenkontakt mit der Sonne, dass er nicht gefallen ist, sondern gesprungen wurde, gebeamt, transferiert von einem Ort zu einem anderen durch Methoden, die er nicht kennt, aber die trotzdem funktionieren, weil Physik heute das ist, was Computer sagen, dass es ist.
Die Angst, die ihn packt, ist nicht die normale Angst vor dem Unbekannten, sondern die Angst vor dem Erkannten, die Angst vor der Gewissheit, dass er Teil eines Experiments geworden ist, einer Versuchsanordnung, die größer ist als er selbst, aber klein genug, um ihn vollständig zu umschließen, und während er durch Straßen geht, die aussehen wie Straßen, aber sich anfühlen wie Datenströme, denkt er daran, dass Bielefeld vielleicht der erste vollständig digitale Ort ist, die erste Stadt, die nur noch aus Information besteht, aus Algorithmen, die gelernt haben, Materie zu simulieren, und dass er selbst vielleicht auch nur noch Information ist, ein Programm, das glaubt, es wäre ein Mensch, weil jemand beschlossen hat, dass Programme, die sich für Menschen halten, interessanter sind als Programme, die wissen, was sie sind.