Der Rover hielt plötzlich ohne einen Ruck an. Es raschelte das wenige Laub in den wenigen Bäumen. Denn die Vegetation war am Ort ihrer Ankunft noch schütterer als vor wenigen Meilen. Bina lehnte sich zurück. Schweißtropfen rannen ihr die Stirn herab. «Was bitte war das denn?» Cat wusste es genauso wenig. Sie hatten zunächst diesen unzweideutigen, anscheinend telepathischen Kontakt mit einem der Ureinwohner knüpfen müssen. Denn für sie schien es kein Entrinnen aus der Situation zu geben. Sie konnten sich gegen die Stimme in ihrem Kopf nicht wehren. Und in unmittelbarem Anschluss an deren Lamento verschwomm die hobbyphilosophische Pseudoethik eines Wesens, das eventuell unter Sauerstoffmangel litt. Da delirierte es beiden gehörig, ohne dass sie in der Lage gewesen wären, eine empirische Ursache für den Verlust ihrer Sinne nennen zu können. «Dass Tausende ihm hörig sind» — Nachhall. Wem? Unangenehm. Natürlich sind diese Aspekte eines Alltags auf einem anderen Planeten in beinahe unmessbarer Entfernung ebenso fantastisch wie die ziemlich bescheuerte Vorstellung, man könne ein Raumschiff mit Geschichten antreiben. Aber seltsam ist es dennoch, jedoch stand es so geschrieben. Auf einer Inschrift hatte Bina einmal Folgendes, ihr unverständlich Klingendes gelesen: «Und ich, wenn er mich inspiriert, mich amüsiert in der Höhle des Ohrs und Du?» Das Zitat fiel ihr ein und sie fühlte sich sehr unwohl.
«Wer bitte hat uns ins Gehirn geschissen, das möchte ich dann doch einmal wissen. Wir kommen hier vollkommen unbedarft und ungerecht kinderlandverschickt an, und das Schicksal meint es so gut mit uns, dass wir zu hadern beginnen, zu hadern mit etwas, das andere Schicksal nennen würden. Ich hingegen stelle mir vor dass es ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten ist.» «Was meinst Du damit?» Bina drückte ihren Rücken durch. Sie hatte das Gefühl, auf einem harten Brett eingeschlafen zu sein. Das war ein sehr unangenehmes, beinahe schmerzhaftes Gefühl. «Gesetzt den Fall, dass der unwahrscheinliche Fall wahr wäre, wir hätten den Sprung auf diesen Planeten nur deswegen getan, weil wir das Potenzial der Sprache unterschätzt und uns in der Antriebskanzel ein wenig zu viel der Worte gegeben haben. Zu viele Geschichten, verstehst Du? Was wäre dann? Wir sind umgeben von Maschinen, und da meinst Du nicht, dass es irgendeine Interaktion geben könnte?» Das waren die letzten Spracherzeugnisse, die zwischen den beiden für den Rest des Tages ausgetauscht wurden. Danach fielen beide in einen wohltuenden, anscheinend grenzenlosen Schlaf.
Was war nur am 14. Juli 1979? Etwas. Es ist immer etwas. Bei den beiden gerade nicht. Sie hatten eine ganze Weile unbelastet auf diesem Himmelskörper in der Ferne des Universums und in der Zeit verbracht. Keine bösen Wesen, keine wilden Tiere, keine gefräßigen Pflanzen. Der Planet, das hatten sie nach wenigen Stunden erforscht, war eine Idylle. Es passierte ewig nichts. Cat und Bina richteten sich ein und belebten ihre Basis, trieben Forschungen voran und erkannten, wie vergeblich der Versuch sein würde, ohne eine genaue Lösung mit der Maschine, die im Orbit kreiste, dahin zurückzukehren, wo sie hergekommen waren. Sie entdeckten nach einer weiteren planetaren Zeiteinöde, die das Quantum an Verdruss beider noch einmal steigerte, das Plateau, die Zeichen. Und dann machten sie sich irgendwann einmal auf den Weg. An besagtem Tag spielte ein französischer Elektromusiker vor gut einer Million Menschen in Paris. Mehr kann man vom 14. Juli 1979 offenbar nicht mitteilen. Wir erfahren nichts aus dem Kongo. Beispielsweise. Wir wissen auch nicht, in welchem Zusammenhang das Datum mit dem Umstand steht, den wir hier schildern. Vielleicht. Cat und Bina fühlten sich in diesem Augenblick der Ankunft, als sie nach dem Vernehmen der telepathischen Stimmen in den Schlaf gefallen waren, aufgehoben.
Cat streckt sich, springt aus dem Rover und blickt sich um. Sie stehen am Rande einer Steinplatte, die wesentlich größer als das Plateau ist, von dem sie herkommen. Eine merkwürdige Ohnmacht hatte beide überfallen, und zuvor waren sie der Erinnerungen an die Fahrt verlustig gegangen, da ihnen per Telepathie Worte und Wortsalate, man kann sagen Wortwürste, ja, das trifft es ziemlich perfekt, denn sie waren crispy und spicy: Wortwürste, frisch vom Hirngrill eines Unbekannten, wurden ihnen durch den Kopf gesägt. Nicht, dass irgendetwas außer einem seltsamen Nicht-Kater hängen geblieben wäre. Sie ist innerlich sehr müde, weiß nicht, wie lange sie geschlafen hat. Die Messgeräte spinnen. Nichts hier ist ungesund. Keine Strahlung, keine giftigen Partikel, keine Anomalie in der Zusammensetzung der durchaus köstlichen Atmosphäre. Sie mussten diesem Rätsel endlich auf die Schliche kommen. Nun stand auch Bina auf und drückte ihre Knie durch. Wir sind nur erfunden. So viel ist gewiss. Wir sind alle nur erfunden. In einem universellen Sinn hieße das: Am Anfang war das Wort und es blieb nicht dort, wo es war, sondern setzte sich in jede Lücke, und jeder Krieg, jeder Fortschritt war nichts, als die wundersame Vermehrung von Worten und Wörtern. Und aus Wort ward Satz ward Absatz ward Text. Dann stellten sie sich beide auf die Platte und dachten gemeinsam: «Meine Frau. Beide, die wir hier gestrandet sind, auf einer uns unbekannten Erde, die sich als leer, aber nicht wüst herausgestellt hat, sondern eher paradiesisch, müssen wieder fort. Niemand würde uns je von hier vertreiben. Dennoch packen wir abschließend die Siebensachen und sind rückstandsfrei in der 耳の神様. Wir legen uns auf unsere Schlafliegen. Der Weltraum hat uns wieder, und wir sind dann bestens auf Kurs: gen Milchstraße über das Filament, über Laniakea und dann in einen der Spiralarme der Milchstraße, fast bis zum äußersten Zipfel an unbedeutsamer Stelle. Dahin trägt uns die Macht der Worte. Hätten wir nicht wissen können, wir hätten nicht gewusst, haben wir nicht das Wissen um die Einfachheit?» [Fortsetzung folgt vielleicht]
Soundtrack: Wolfgang Amadeus Mozart, Sinfonia concertante Es-dur, KV 364 (320d), Konzert für Violine und Orchetser Nr. 1 B-dur KV 207, Gidon Kremer, Violine, Kim Kashkashian, Viola, Wiener Philharmoniker, Nikolaus Harnoncourt, Deutsche Grammophon, 413 461-2, 1984