Early too late

Als Büttner und Kampmann Mitte der 1970er-Jahre Prag aufsuchten, stand Großes an. Im inoffiziellen Auftrag der RDS bereisten sie die Tschechoslowakei, und sie standen noch ganz unter dem Eindruck des Mauerbaus 1961. Doch im Unterschied zu den Ereignissen in Berlin hatten sie zusammen mit ihren Agenten alles Notwendige arrangiert. Die Kabel der Extratelefone waren gelegt, die Pfade eingelatscht, die Dauerwellenchemie eingekauft. Günstigere Tage konnten für dieses epochemachende Ereignis nicht gewählt werden. Denn es waren Betriebsferien zu der Zeit in der Deutschen Botschaft. Das Auswärtige Amt lud zum Ball nach Bonn. Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten war seit Dubčeks Abgang in die Forstbehörde seines Landes zwar erheblich abgekühlt, aber die Ständigkeit einer anwesenden Vertretung schien den damaligen Entscheidern als unnötiger Aufwand. Ein folgenschwerer Irrtum aus humanistischer Perspektive, wie sich alsbald herausstellte.

Botschaftssprengung 1
Büttner und Kampmann, erkennbar an den weißen Helmen, beobachten besorgt die Sprengung der Ständigen Vertretung, Prag. Foto: Familie Kampmann

Innerhalb einer Dezennie hatte sich sowohl für die Menschen in BRD und DDR als auch in der Tschechoslowakei viel verändert. Während der Konsum im Westen eine Schlacht nach der anderen für sich gewann, scheiterten alle Versuche, den Zustrom der Dauerwellen Richtung Osten zu stoppen. Eine Menge Frust hatte sich also hinter dem so genannten Eisernen Vorhang angestaut. Haarige Volksaufstände kündigten sich an, Unruhen wallten auf, die Bereitschaft zu zivilem Ungehorsam wuchs. Gerhard Ritzels Leute hatten ihre Nasen offenbar eher in den Gläsern Pilsener Getränke als an der sich stetig erhitzenden Umluft in der Hauptstadt der Eishockey-Nation. Um in dieser Situation Schlimmeres zu verhindern, ersann das Zentralkomitee der RDS einen ausgefeilten Plan: Alle Zimmer in der Botschaft waren komplett frei, alle Dissidenten und Ausreisewilligen aus der DDR machen rüber über die deutsch-tschechische Grenze und verschanzen sich, bis die Deutsche Bundesbahn alle abholt.

Der Zufluchtsort stürzt in sich zusammen. Foto: Familie Kampmann

Und dann kamen die aus der heutigen Sicht zu früh Gekommenen zu spät. Eines Morgens fanden sich die Drahtzieher dieser gescheiterten deutsch-deutschen Aktion staunend und eingeschüchtert hinter einem Bauzaun wieder. Das Botschafterteam hatte nicht ohne Nebengedanken Prag in Richtung Bonn verlassen. Es stand Hausputz an. Aber der tschechoslowakische Vermieter, Mitglied im Verband Haus & Grund, gab sich nicht mit dem schlichten braunen-beigen Anstrich der Büros zufrieden, sondern beschloss, der Bundesrepublik ein neues Gebäude zu schenken. In der Hoffnung, die stumme Revolte und Menschenbewegung ließe sich so beherrschen und eindämmen. Womit das Immobilienkartell aus Prag ja auch für über ein weiteres Jahrzehnt Recht behalten sollte.

Botschaftssprenung 3
Es hat viel Staub aufgewirbelt. Foto: Familie Kampmann

Soundtrack: Gavin Bryars, «After The Requiem»; ECM New Series, ECM 1424; LP 847 537 1, 1991

Gesprengtes Gebäude.
Am Ende blieben nur Schutt, Asche und ein Traum von Freiheit. Foto: Familie Kampmann