Christmas Oddity

In den 1970er-Jahren waren die Zeitungen voll mit Berichten über vermeintliche Besuche scheinbarer Außerirdischer. Es hieß, dass Menschen entführt worden wären und wirklich schlechte Erfahrungen auf diesen Trips gemacht hätten. Ich war damals noch klein, und ich kannte nur die Apollo-Missionen, wenn es um Höhen jenseits der Stratosphäre ging. Offenbar erging es meinem Großvater anders.

Mein Opa hieß Wilhelm und war eigentlich katholisch, ist aber ausgetreten oder konvertiert. So genau weiß ich das nicht. Jedenfalls hat ihm der Hirte in seinem Sprengel die Letzte Salbung verwehrt, und beerdigen wollte der ihn auch nicht. Dann ist er eben evangelisch unter die Erde gebracht worden. Wie seine Frau, die meine Oma war. Es war an einem der Weihnachtsfeste in meiner Kindheit. Die liefen niemals ohne Spannungen ab. Mein Opa war irgendwie immer abwesend. Nur da, wenn er sein Bier hatte, oder wenn es um Fußball ging, oder wenn beides glücklich zusammen fiel. Mein Opa nahm mich beispielsweise mit auf Schalke. Er wie meine gesamte Familie war Schalke-Fan. Ich war das auch, bin aber dann nach einer Reihe von Jahren abtrünnig geworden und nun seit einigen Jahrzehnten BVB-Fan. Ich weiß noch, dass mein Opa, als ein echter Fußballbegeisterter, der ich niemals war, noch als Opa mit den Freunden seines Enkels auf der Wiese gegenüber dem Elternhaus des Autors spielte. Also hatte mein Opa Bier, Fußball und Aliens.

Alien-Opa kurz vor dem Abflug. Foto: Familie Kampmann

Wie das zusammen ging, das wusste weder damals noch heute jemand. Er las immer gern Groschenromane, meistens Western wie Lassiter. Aber eben auch Perry Rhodan oder Atlan. Diese Hefte lagerten in einem zweckentfremdeten alten Kleiderschrank im Keller der Wohnung, und ich durfte mir bisweilen eins der Hefte aussuchen. Das legte den Grundstein für meine Science-Fiction-Begeisterung, die bis heute anhält. Mehr noch als meine Begeisterung für den Fußball. Jedenfalls hat mein Opa wenig geredet, außer wenn er betrunken war. Wie so viele Opas der Generation der Krieger. Er war Jahrgang 1913 und wurde alsbald als junger Familienvater eingezogen. Natürlich bedrohte die Arbeitslosigkeit und generell die schlechte wirtschaftliche Lage seine ganze Familie. Entbehrungen waren es, die seinen Sohn, meinen Vater, motivierten, mehr zu werden. Erst mein Vater, dann ich. Entbehrungen blieben trotzdem, immer, irgendwie.

Wilhelm hat niemals erwähnt, dass er entführt worden sei, aber eines Weihnachtsabends ging er in den Flur meines Elternhauses zur Garderobe und holte den Falthelm, setzte ihn auf, sprach kein Wort und verschwand kurze Zeit später für etliche Stunden. Das einzige, was von diesem Abend übrig blieb, ist ein altes, vergilbtes Foto. Da macht Wilhelm noch Spaß, packt Geschenke aus und trinkt sein Bier. Wir haben uns über den Helm gewundert. Niemals hat er ihn uns gezeigt. Und dann verschwand er, wir machten uns so lange Sorgen, bis er, genauso wie er immer war, wieder auftauchte, als wäre nichts gewesen.