Bröno innen

«Keine Ahnung habe ich. Ob ich nun träume? Ich muss träumen. Schau‘ dir das genau an. Auf der Erde, hier. Die Schwerkraft ist spürbar. Da ist ein Band, das einen Hund mit mir verbindet. Keine Funktion, keine Elektronik. Nur ein langes, textiles Gewebe, schmal, rau. Und woher kann ich wissen, dass man dieses Pelztier Hund nennt? Wie lange ist es denn her? Wenn ich mich umschaue, sehe ich ausschließlich monotone Flächen. Jetzt scheint es Winter zu sein. Niemand ist hier. Der Morgen graut. Im Süden verschwindet die Sichel des Neumonds. Ach, ja, ich ‹scheine› zu wissen, dass dieser Planet einen Trabanten hat, den man hier, wo ich mich befinde, Mond nennt. Und ich erinnere mich daran, dass das nicht nur die Bezeichnung für diesen Körper an dem Teil des Himmels ist, den ich gerade sehe, sondern auch eine Kategorie von Himmelsgebilden. Ich erinnere mich außerdem daran, dass ich mit einem leichten Neigen des Kopfes in Richtung des Teils meines Körpers, in dem sich keine Sensoren zur Registrierung von Wellen im Bereich von 780 bis 380 Nanometern befinden, ein sehr hell strahlender Punkt leicht westlich davon feststellbar ist. Das muss die Venus sein. Der Hintergrund ist hier nicht orangeblau changierend, sondern tiefblau, schwarz vielleicht. Es lässt sich mit Fug‘ und Recht konstatieren, dass die Bewohner, sollte es denn welche geben, diesen Anblick als ‹schön›, ‹überwältigend› oder etwas in der Art bezeichnen würden. So ist das wohl. Mir fällt es eher schwer, diesen Vokabeln etwas abzugewinnen. Mir fällt es ohnehin schwer, mit dieser unscharfen Semantik zu operieren.

Eine Drei ist eine Drei. Eine Drei hat keine Gefühle. Sie löst sicher auch bei den meisten Mitwesen keine aus. Sie bezeichnet das Eine, das sich wiederholt und setzt stillschweigend voraus, dass die beiden anderen mit ihr identisch seien, aber selbst jetzt: diese Unschärfe. Ich schaue zu Boden. Der Hund zieht zwar, und es ist eiskalt. Aus den Schornsteinen des Dorfs steigen Rauchfahnen auf. Also, dort, gute 175 Zentimeter unter mir, sehe ich drei Steine. Aber alle sehen anders aus. Das ist nicht A1=A2=A3. In mir kaskadieren diese Übersetzungen in eine geläufige, eine gar läufige Sprache, die angesichts analoger Vielfalt, Vielschichtigkeit und Unterscheidbarkeit jedoch absurd erscheinen. Translationen in ein Zeichenreservoir das sich immer wieder, gegen jede Sichtbarkeit, anheischig macht, deren… Das ist sinnlos. Ich weiß nicht, wie ich das früher gemacht habe. Und wann dieses ‹Früher› gewesen sein sollte. Jedoch war zu dem Zeitpunkt, an den ich mich zu erinnern versuche, auf gewisse Weise alles geordneter, und die Sprache, die mein oberstes Wahrnehmungsdevice sah, sprach und weitergab, war vielleicht gleichermaßen komplex, aber nicht so unglaublich verseucht von Zwangshandlungen zur Verringerung des Grades an analogen Werten. Man sollte meinen, dass es mir früher besser gegangen ist. Doch der Blick nach draußen belehrt mich eines Besseren. Ich weiß zwar immer noch nicht, was ein Hund über die reine Faktizität eines Wörterbucheintrags ist, dennoch empfinde ich eine Wärme, die in der Damalswelt keinen Platz hatte. Das verwirrt mich.

Es ist nicht lange her, und ich sah einen Menschen, der versuchte, meinen Hund zu überfahren. Er hatte sich in dieser Landschaft das Recht herausgenommen, dies zu tun. Der Hund war so schöne, exakt messbare 50 Meter vor mir her gelaufen und stupste seine lange Nase in alles, was am Wegesrand lag. Mir ist heute bewusst, dass ich in einer Landschaft ging, die seit ewigen Zeiten kulturalisiert wurde und wird, ein Prozess, der weder mit Malerei noch mit Schrift oder Bühnengestik zu tun hat. Von der Tonkunst ganz zu schweigen. Es schien, als erhöbe der Übeltäter Anspruch auf das Land, das frei zugänglich ist. Jetzt kommt dieser Mensch in einem sehr großen Fahrzeug daher und sieht meinen Hund. Das Fahrzeug rumpelt auf dem unwegsamen Pfad inmitten abgeteilter Flächen aus Erde an mir vorbei, und ich denke noch, dass eine Kollision berechenbar wäre. Auch war mir klar, dass die materialiter zusammenkrachenden Objekte dann dazu führen würden, dass eins der beiden unwiderruflich – und ich ging damals schon davon aus, dass es der Hund sein müsse – zerstört werden würde. Und so kam es dann auch. Den Menschen habe ich dann zerstört. Das ist ein Ereignis gewesen, das konsequenterweise auf das erste Ereignis folgen musste. Wenn Sie mich heute fragen, ob mir das schwer gefallen ist, kann ich nur sagen: nein, in keiner Weise. Heute gehe ich mit einem anderen Hund. Keine Ahnung, ob ich das jetzt träume.» [Fortsetzung folgt vielleicht]

Soundtrack: Luigi Nono, Fragmente – Stille, An Diotima, LaSalle Quartett, Deutsche Grammophon, 415 513-2, 1986