Ereignislose Tage

Santa Barbara

Erich Fried schrieb:

Totschlagen
Erst die Zeit
dann eine Fliege
vielleicht eine Maus
dann
möglichst viele Menschen
dann
wieder die Zeit
Das Besondere war nicht die Mall, sondern der unendlich lange Güterzug im Hintergrund.

Nach all den Aufregungen der vergangenen Tage und Wochen waren FfK froh, einfach nichts zu tun. Warten war eine Spezialität von ihnen. Aber hier ging es nicht um einfaches Warten. Warten impliziert ein «auf etwas». Doch da gab es nichts, auf das sie hätten warten können. Es waren einfach ereignislose Tage. Tage, die sie damit verbrachten, nichts zu tun oder, und das wirkte dann doch wie ein Ereignis, unendlich langen Güterzügen nachzuschauen.

Büttner dachte an die Hobos, die auf Güterzügen durchs Land fuhren, immer in der Angst von Bahnbediensteten erwischt zu werden, von Polizisten verprügelt und eingesperrt zu werden. Er nutzte die ereignislosen Tag dazu, ein kurzes Filmscript zu schreiben, dass von drei Freunden handelt, die wegen einer Pandemie beschließen, wie einst die Hobos durchs Land zu fahren. Der Titel des Scripts lautete Kein Signal (No Signal). Veröffentlicht wurde das Script nie. Allerdings kursierte eine Abschrift auf WASTE.

Viele Jahre später sollte eine Pandemie drei Freunde auf die Idee bringen, von Los Angeles nach Montana via Train Hopping und per Anhalter zu reisen. Sie nahmen ihren Trip auf Super 8 auf, ganz wie es Büttner beschrieben hatte, und stellten diesen ins Netz.

Viele Leser vermuteten, dass es sich bei den drei Freunden in Kein Signal um FfK handelte, doch dem war nicht so. Büttner konnte zwar nicht bestreiten, dass FfK eine Art Blaupause darstellte, aber dennoch war die Geschichte von Kein Signal eine ganz andere, als die, die hier gerade nachgelesen werden kann. Kein Signal wurde zu dem Denkmal für alle Hobos der Zukunft, der Gegenwart und der Vergangenheit.

Dem Hobo und Arbeiterführer Joe Hill sagt man nach, dass er intensive Kontakte zu den Hidden Woodsmen und zu den Dudes pflegte. Seasick Steve, selbst Hobo, Landstreicher, Bettler und Musiker, lieferte seit ewigen Zeiten den Soundtrack zum Leben der Hobos.

Ein anderer Hobo und Schriftsteller, Jack, hatte ja viele Jahre zuvor die Grundlage für jeglichen On the Road Trip im gleichnamigen Buch niedergeschrieben. Büttner und die drei unbekannten Helden von Heute waren also in guter Gesellschaft. «Und vergessen wir nicht den Hobo der Hobos, Jack London!», merkte Bohl an.

Die Ereignislosigkeit der Tage schlugen FfK langsam aufs Gemüt. Es musste etwas passieren. Würde Kampmann sich melden?

Soundtrack: Seasick Steve, Walkin Man, I Started Out With Nothin And I Still Got Most Of It Left, Warner Bros. Records, 2008

Nachtrag

Kampmann musste herzlich lachen, als er viele Jahre später den Titel des Scripts las. «Passend», meinte er, «wie passend! Mich hat nie ein Signal erreicht. Nicht über WASTE. Nicht über NOSE. Auch nicht über den Messenger Signal.» «Und», so Kampmann weiter, «ein Joghurtbechertelefon hatte ich auch nie.»