Schwarz Schlucht

Auf der Suche nach dem schlechten Bild.

Einfallsloser konnte man ein Sujet nicht interpretieren. Wieder einmal hatten FfK Maßstäbe gesetzt.

Bohl war Navigator des Tages. Er saß auf dem Beifahrersitz. Reuss fuhr. Büttner leitete die Operation mit seinen Gedanken, obwohl er seit Tagen in den Laubsätzertagen gefangen zu sein schien. «Ist es schon wieder soweit?» fragte sich Büttner und gab Bohl den Impuls, «Jetzt links ab» zu sagen.

Sie fuhren links ab. Zum Black Canyon. Eine unspektakuläre Gegend. Ein unspektakulärer Canyon. Unspektakuläre Leute.

Dorothea Lange lungerte, wie immer, auf dem Dach ihres Automobils und blickte in die Kamera eines Kollegen, der gerade vorbeikommen mochte. Diesmal waren es die drei Freunde. Büttner wies Bohl an, mit Dorothea eine Konversation zu starten. Er hätte das eigentlich gerne selbst getan, war aber mit Kampmann via SWIKI, einer Abnorm von PILZ, in einer Konversation verfangen. Beide versuchten Bremen zu erreichen.

Bohl mahnte derweil Dorothea, den Daumen nicht zu retuschieren. Sie hörte nicht auf ihn.

Reuss brachte die Camera Obscura in Stellung. Er kippte die Bodenplatte so, dass er problemlos in den Abgrund des Canyons fotografieren konnte.

Bohl, der bei Dorothea auf taube Ohren stieß, begann unverzüglich via DALL-E die Aufnahme Migrant Mother zu synthetisieren. Bohl wusste, es würden sich unzählige Sedimentschichten bilden, die den ursprünglichen Impuls, den Dorothea verspürte, als sie die Aufnahme machte, übertünchen würden. Es würde sogar zu Versteinerungen kommen. Hart wie Granit. Bohl begann mittels DALL-E das Bild Migrant Mother freizulegen.

Wenn FfK nicht mit der Camera Obscura Fotografien anfertigten, synthetisierten sie mit DALL-E Bilder, die Geschichte machen würden. Migrant Mother war so ein Bild.

Bohl konnte darlegen und beweisen, dass das Kind in der ursprünglichen Aufnahme immer in die Kamera blickte und dass die Mutter einen Schal um ihr Haupt geschlungen hatte.

Dorothea konnte und wollte das nicht glauben.

Eine weitere Synthetisierung des Motivs Migrant Mother. Auch hier blickt das Kind direkt in die Kamera. So wird es also auch gewesen sein, als Dorothea den Auslöser betätigt hatte. Dorothea hatte also, laut FfK, der Aufnahme nicht nur den Daumen gestohlen, sondern auch noch die Kinder verdreht!

Bohl startete einen zweiten Synthetisierungslauf, verfeienerte die Konfiguration, justierte die Parameter.

Dorothea fuhr wutschnaubend davon.

Büttner erreichte Bremen nicht.

Weiterfahrt. Büttner saß wieder im Font des Wagens. Reuss gab Gas. Bohl telefonierte mit Travis, um die Bestellung für das 48-Miller-Pack aufzugeben. Travis hörte nicht zu, er war wieder mit Wim unterwegs.

Am Abend saßen die drei Freunde um das Lagerfeuer. Die Kartoffeln lagen umwickelt von Alufolie wohlbehütet in der Glut. Büttner verfasste den Vortrag So werden wir Bremen nie erreichen.

Die Sterne leuchteten. Die Kartoffeln waren verspeist. Das Miller-Bier schmeckte wie immer nicht. Alles ganz unspektakulär. Die Freunde rollten sich in ihre Schlafsäcke. Gute Nacht Bohl. Gute Nacht Reuss. Gute Nacht Büttner.

Soundtrack: Brian Eno, Apollo: Atmospheres and Soundtracks, EG, 1982

Nachtrag

Nachdem die drei Freunde wieder europäischen Boden unter den Füßen hatten, machte sich Büttner schnurstracks daran das Wiki Institute aufzubauen und die Abteilung Das schlechte Bild zu gründen. Im Gründungsmanifest hielt Büttner fest:

Der Fotoapparat ist programmiert, Fotografien zu erzeugen, und jede Fotografie ist eine Verwirklichung einer der im Programm des Apparates enthaltenen Möglichkeiten. Die Zahl dieser Möglichkeiten ist groß, aber sie ist dennoch endlich: es ist die Zahl all jener Fotografien, die von einem Apparat aufgenommen werden können. Zwar kann man, in der These, eine Fotografie auf gleiche oder sehr ähnliche Weise immer wieder aufnehmen, aber das ist für das Fotografieren uninteressant. Solche Bilder sind «redundant»: Sie tragen keine neue Information und sind überflüssig.

Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie, European Photography, 1992

Mit anderen Worten: redundante Fotografien (im o. Sinne) sind schlechte Bilder.